Gewitterstille - Kriminalroman
ihr Exmann auf mysteriöse Umstände ums Leben gekommen war. Beate besaß jedoch – so viel war sicher – die nötigen Antennen, um zu begreifen, dass Anna in ihrem Herzen ein Geheimnis hütete, das sie auch um Sophies willen nicht preisgeben konnte. Gleichzeitig reali sierte sie, dass Beate beinahe vierzehn Jahre lang die gleiche Traurigkeit über den Verlust von Sophie ertragen hatte wie sie selbst, nachdem Marie gestorben war.
»Ich habe selbst vor einiger Zeit ein Baby verloren. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Marie denke.«
»Auch ich habe immer an Sophie gedacht. Ich bete darum, sie für mich gewinnen zu können. Im Moment habe ich das Gefühl, dass sie noch nicht wirklich hier angekommen ist oder sich nur auf der Durchreise befindet, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Das verstehe ich nur zu gut. Wir müssen einen Weg finden, ihr Vertrauen zu gewinnen, damit sie das Richtige tut.«
Nachdem sie am Nachmittag zusammen Kaffee getrunken hatten, wagte Anna einen erneuten Anlauf, um mit Sophie zu reden.
»Möchtest du übermorgen mit mir nach Lübeck zurückfliegen?«
Anna rückte ihren Gartenstuhl ein Stück näher an Sophies Rollstuhl heran. »Ich könnte zwar gut verstehen, wenn du noch länger hier bei deiner Mutter bleiben möchtest, aber auf der anderen Seite musst du natürlich auch an dein Abi denken.«
Sophie antwortete nicht, sondern nestelte an einer Serviette herum, die noch vor ihr auf dem Kaffeetisch lag.
»Beate ist eine sehr nette Frau, finde ich. Ich mag sie«, fuhr Anna fort.
»Ja, sie ist nett.« Sophie griff nach einer Zeitschrift, die auf dem Gartentisch lag, und schien mit Interesse darin zu lesen.
»Kannst du überhaupt Französisch?«, fragte Anna und blickte auf das Boulevardblatt.
Sophie ließ die Zeitung auf den Tisch zurückfallen. Sie sah trotzig aus. »Nein. Ich habe nur kein Interesse, mir von dir ein Gespräch aufdrängen zu lassen. Punkt eins: Ich weiß nicht, wo Jens Asmus ist. Punkt zwei: Ich habe keine Lust, dir oder diesem Hilfssheriff, den du mitgebracht hast, zu erzählen, wo ich mit Jens war, und Punkt drei: Ich fahre zurück nach Lübeck, wann es mir passt, und suche mir eine andere Wohnung.«
Anna ließ sich einen Moment lang Zeit, Sophies harsche Worte zu verdauen, bis sie einen neuen Anlauf unternahm: »Ich weiß, dass du sauer bist und meinst, ich sei daran schuld, dass Jens Asmus wegen Mordes an Frau Möbius gesucht wird und …«
»Nicht nur daran. Du bist auch schuld daran, dass man ihm diesen verdammten Altenheimquatsch anhängen will. Glaubst du nicht, ich würde merken, wenn er ein gemeiner Dieb und Mörder wäre? So was spürt man doch. Du kennst ihn doch überhaupt nicht.« In Sophies Augen sammelten sich Tränen, und Anna war einen kurzen Moment beinahe froh, dass sie im Rollstuhl saß, denn sie war sicher, dass Sophie andernfalls aufgesprungen und weggerannt wäre.
»Es ist doch völlig egal, was ich denke, Sophie. Fakt ist, dass er, ob Mörder oder nicht, nicht sein ganzes Leben auf der Flucht verbringen kann. Über kurz oder lang wird man ihn kriegen. Und was ist, wenn du unrecht hast? Was, wenn er doch der Mörder ist, für den die Polizei ihn hält? Kannst du dann damit leben, ihn gedeckt zu haben? Was, wenn er ein weiteres Verbrechen begeht, das du hättest verhindern können, indem du uns geholfen hättest, herauszufinden, wo er ist?« Anna lehnte sich ein Stück vor, um Sophie in die Augen sehen zu können, die ihren Blick jedoch abwandte und stur auf ihre Hände blickte. Anna entschloss sich, die Katze aus dem Sack zu lassen.
»Die Polizei hat herausgefunden, unter welchen Personalien er ein Auto angemietet hat. Sie wissen auch, dass er sich vermutlich weiterhin in deiner Nähe aufhält, Sophie.«
»Und wenn schon. Ich weiß nichts davon.« Anna versuchte vergebens zu ergründen, ob Sophie die Wahrheit sagte. Immerhin war sie sicher, dass Sophie versuchen würde, die soeben gewonnene Information an Asmus weiterzugeben, sofern er ihr noch etwas bedeutete.
»Er wird nicht ein Leben lang auf der Flucht sein können«, wiederholte sie. »In Deutschland wird niemand zu Unrecht verurteilt. Wer weiß, vielleicht klärt sich alles auf, und man findet heraus, dass er wirklich unschuldig ist.«
»Du glaubst doch selbst nicht, was du da sagst, oder?« Aus Sophies Augen sprach eine verzweifelte Wut, die Anna noch nie an ihr gesehen hatte. »Wie sollte Jens sich denn entlasten können? Ihr habt ihn doch längst verurteilt, und Frau
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