Gewitterstille - Kriminalroman
bei Sophie geklopft. Sie tut so, als würde sie schon schlafen. Jedenfalls hat sie nicht reagiert.«
Der smarte Kommissar lächelte sie aus seinen blauen Augen freundlich an und trank ebenfalls einen weiteren Schluck Wein.
»Es scheint wenig Sinn zu machen, es immer wieder zu versuchen. Sie will ganz offenbar nicht mit dir reden, und du wirst das, fürchte ich, akzeptieren müssen.«
»Vielleicht spricht sie mit mir, wenn wir wieder in Lü beck sind. Dass du hier bist, scheint ebenfalls nicht zu ihrer Auskunftsbereitschaft beizutragen. Du hättest dir diese Dienstreise also auch sparen können.«
»Och, das würde ich nicht sagen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die so schnell aufgeben.«
Anna schluckte. War seine Bemerkung zweideutig, oder bildete sie sich das nur ein? Sie räusperte sich ein wenig verlegen und rieb sich den Nacken.
Als plötzlich aus Richtung der Hecke ein Rascheln zu vernehmen war, schreckte sie auf.
»Gibt es hier Füchse oder so etwas?« Anna gab ihre bequeme Sitzposition auf und setzte sich aufrecht hin. »Auf Bornholm hat mich so ein Tier mal zu Tode erschreckt, als es gerade dabei war, den Fressnapf meines Hundes zu räubern.«
»Füchse gibt es hier eher nicht, würde ich sagen.« Anna konnte an Bendts Grinsen erkennen, dass ihn ihre Angst zu amüsieren schien. »Aber ganz offenbar einen Haufen Mücken!« Im selben Moment klatschte er beherzt auf Annas Arm, um eines der gefürchteten Biester zu erlegen.
»Aua, spinnst du? Hast du schon mal davon gehört, dass Körperverletzung strafbar ist?«
Bendt rückte ein Stück näher an Anna heran. »Tut mir ausgesprochen leid, meine Liebe, aber ich bin Kommissar und hier abgestellt, um dein Leben zu retten. Da darf man nicht allzu zimperlich sein.« Sanft rieb er über die Stelle, auf der er die Mücke erschlagen hatte. Gegen ihren Willen wurde Anna rot und ärgerte sich darüber, dass sie wie ein Teenager wirken musste.
»Kennst du dich aus mit den Sternbildern?« Bendt wies mit der Hand gen Himmel.
»Nur sehr begrenzt.«
Er lächelte, legte den Arm um sie und streckte den anderen erneut nach oben.
»Pass auf. Ich erkläre dir mal die ganz einfachen Bilder zuerst.«
36. Kapitel
S ophie weinte und bettelte, und doch war ihr klar, dass jede Gegenwehr zwecklos sein würde. Sie wurde immer tiefer in den dunklen Schacht gestoßen und würde unten hilflos und unsanft im Morast der Kanalisation landen. Es gelang ihr kaum, den Würgereiz zu unterdrücken, während Jens sie an ihrem Arm durch den stinkenden Tunnel voranzog. Hier unten gab es kein Licht. Lediglich der schwache Schein seiner Taschenlampe wies ihm den Weg, der immer tiefer in die Hölle hineinführte. Es gab kein Entkommen. Aus der Ferne vernahm sie die immer leiser werdenden Stimmen von Beate und Anna, die ihr verzweifelt nachriefen. Ihr Rücken, der unaufhörlich über den nassen Boden schleifte, war wund und schmerzte. Sie wollte schreien und fand doch nicht die Kraft dazu. Immer wieder fing sie Jens’ irren Blick auf und spürte jede Hoffnung schwinden. Seine Augen waren glasig, und die Ader auf seiner Stirn war so stark angeschwollen, als würde sie jeden Moment platzen. Rechts und links des Tunnels führten in regelmäßigen Abständen Treppen nach oben und mündeten vor massiven grauen Metalltüren. Jens schrak zusammen, als sich eine der Türen öffnete und ihn eine Fratze unverhohlen anstarrte. Sophie verstand nicht, dass die Tür sich wieder schloss, und glaubte schon zu halluzinieren, denn sie hatte die bizarre Idee, in dem Gesicht hinter der Tür Frau Möbius erkannt zu haben. Der Tunnel wurde jetzt schmaler, führte dafür aber offenbar nach draußen, denn Sophie konnte an seinem Ende ein grelles Licht erkennen. Sie öffnete ihren Mund zum Schrei, als am oberen Ende einer der Treppen erneut eine der Türen geöffnet wurde. Sie bündelte ihre Kräfte und versuchte mit aller Macht, sich zu befreien. Vergebens griff sie immer und immer wieder nach Jens’ klatschnassem Hosenbein, um ihn zu Fall zu bringen. Gerade meinte sie Halt zu finden, als sie plötzlich am Ende des Tunnels einen Mann erblickte. Er stand im Gegenlicht, sodass sie sein Gesicht nicht genau erkennen konnte, und dennoch wusste sie in diesem Moment, dass es ihr Vater war, der dort in ein flatterndes Gewand gehüllt stand und auf sie wartete.
Er lebt, dachte sie, und es war nicht Freude, sondern Bit terkeit, die sie empfand. Ich habe an seinem Grab geweint, dachte sie. Auch er hat mich glauben
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