Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
bei ihrer Physiotherapeutin. Wo sie dafür bezahlen durfte, für ihre ungesunde Lebensweise beschimpft zu werden. Ja, natürlich sollte sie regelmäßig Sport treiben, und natürlich sollte sie auch nicht schwer heben, und wenn dann nur aus den Beinen heraus. Und wie sollte sie das bitte machen, wenn ein halbtoter Mann auf ihrer Veranda lag und sie ihn irgendwie ins Haus schaffen musste?
Der Gedanke an den Fremden, der immer noch in ihrem Schlafzimmer lag, ließ Marisa schlucken. Sie musste nach ihm sehen, das wusste sie. Aber erst musste sie sich um den Hund kümmern, sonst würde Angus’ Sabber nicht nur ihre Hand, sondern auch den Sessel und den Boden einsauen. Sie stemmte sich mühsam hoch und schlurfte zur Tür. Sowie sie sie einen Spalt geöffnet hatte, schoss Angus hindurch. Der Herr hatte es eindeutig eilig, ein Zeichen dafür, dass es bereits ziemlich spät sein musste. Sie könnte natürlich auch die Sonne als Indiz nehmen, die bereits auf dem Weg in Richtung Süden war. Marisa lehnte sich gegen den Türrahmen und schloss die Augen. Tief atmete sie ein und genoss die saubere Luft.
Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass es in Mariposa mitten am Tag so still war. Kein Vergleich zu New York City, wo es Tag und Nacht dröhnte und lärmte. Diesen Frieden hatte sie gesucht, als sie vor zehn Monaten mitten in der Nacht aus ihrem alten Leben geflohen war. Vermutlich hätte sie auch irgendwo an der Ostküste so einen Platz gefunden, aber sie zog es vor, einen ganzen Kontinent zwischen die Ereignisse und sich selbst zu legen. Sie hatte kurz darüber nachgedacht, nach Kanada oder sogar Alaska zu gehen, aber das war ihr dann doch ein wenig extrem vorgekommen. Die Gegend hier war schon in Ordnung – zumindest solange nicht spät abends irgendwelche nackten Verletzten auftauchten. Was zugegebenermaßen eher selten passierte.
Innerlich aufseufzend gestand sie sich ein, dass sie nur Zeit zu schinden versuchte, um eine erneute Begegnung mit dem Fremden hinauszuzögern. Dabei sollte sie sich eigentlich beeilen, um ihn schneller loszuwerden. Und das wollte sie unbedingt. Marisa ignorierte die beharrliche Stimme in ihrem Kopf, die ein ‚oder?‘ an die Aussage hängen wollte, und stieß sich vom Türrahmen ab. Zuerst würde sie sich anziehen und etwas frisch machen und danach konnte sie sich dann um den Patienten kümmern, der hoffentlich inzwischen seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Marisa drehte sich um und stieß einen erschreckten Schrei aus. Die Hand auf das Herz gepresst starrte sie den Fremden an, der seelenruhig in ihrem Wohnzimmer stand und sie beobachtete. Ihr Blick glitt für einen Sekundenbruchteil nach unten. Nackt, natürlich.
„Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Seine Stimme schien nicht mehr ganz so kratzig zu sein wie am Abend, aber sie war immer noch tief genug, um in ihrem Körper zu vibrieren.
„Und deshalb haben Sie sich so an mich herangeschlichen?“ Marisa räusperte sich, als sie merkte, wie atemlos ihre Frage klang.
„Deshalb habe ich Sie nicht angesprochen, während Sie in Gedanken weit weg waren.“
Immerhin schien er heute klarer zu denken als gestern. „Wie fühlen Sie sich?“
Ihr Blick folgte seiner Hand, die über seine Brust strich. „Etwas desorientiert, hungrig, und ein paar Muskeln schmerzen.“
Seine Bewegung war geschmeidig, beinahe hypnotisch. Marisa blinzelte einige Male, um den Bann zu brechen. „Erinnern Sie sich daran, was gestern passiert ist?“
„Sie haben mich gefunden.“
Ungeduldig fuchtelte Marisa mit der Hand. „Das weiß ich. Ich meinte, davor.“
Ein Schatten glitt über sein Gesicht, sein Mund presste sich zu einem Strich zusammen. „Ich wurde angegriffen. Ein Betäubungspfeil, damit ich mich nicht wehren konnte.“
Ungläubig starrte Marisa ihn an. „Ein Pfeil? Warum sollte jemand so etwas benutzen? Normalerweise bekommt man einen Knüppel über den Kopf oder wird gleich erschossen.“ Der Mann kam langsam auf sie zu. Er schien sich seiner Nacktheit überhaupt nicht bewusst. Marisa zwang sich, in seine Augen zu sehen. „Äh … wie wäre es, wenn Sie erst mal wieder ins Bett gehen und mir dann sagen, wen ich anrufen kann, damit er Sie abholt und Ihnen auch gleich etwas zum Anziehen mitbringt?“
Dicht vor ihr blieb er stehen. Hitze schien in Wellen von ihm auszugehen, jedenfalls wurde ihr eindeutig zu warm in seiner Nähe. „Sehen Sie runter.“
„Wie bitte?“ Was ihre Empörung zum Ausdruck bringen sollte, klang
Weitere Kostenlose Bücher