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Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Titel: Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: St John Greene
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Treppenabsatz erreicht hatten. »Wie wär’s, wenn du dir die Haare kämmst, während ich mir die Zähne putze …«
    Ich hantierte in der Küche und räumte das Frühstücksgeschirr weg. Als die Jungs hinter der Badezimmertür verschwanden, wurde es unten still.
    Die Hündin saß wie eine Statue im Wintergarten und beobachtete ein paar Vögel, die den gefrorenen Boden des Hinterhofs nach Futter absuchten. Ich hörte meinen Atem, während ich ihr schweigend dabei zusah. Zum Ende hin hatte Kate kaum mehr atmen können. Sie kämpfte um jeden Atemzug und war auf das hässliche Sauerstoffgerät angewiesen, als wir nebeneinanderlagen, um ihre Liste zu ergänzen. Dieses Gerät war mir gleichermaßen verhasst wie willkommen. Ich fand es schrecklich, dass Kate davon abhängig war. In der Vergangenheit hatte ich Kate nur in glücklichen Momenten atemlos erlebt, wenn sie so viel lachte, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen, wir uns leidenschaftlich liebten oder ihr Herz vor Begeisterung wild klopfte, wenn sie nach einem Tauchgang ihre Maske abzog.
    Am Ende reichten auch die Sauerstofftanks nicht aus, und Kate musste in die Klinik. Ich war zuversichtlich, dass es ihr dort besser ginge, denn im Krankenhaus könnten ihre Lungen zur Ruhe kommen und sie nach den Anstrengungen von Lappland und von Weihnachten wieder Atem schöpfen. Doch so war es nicht. Mit Kate ging es bergab. »Ich möchte einen letzten Brief an die Jungs schreiben, Singe«, sagte sie. Es war der 19. Januar 2010.
    Die Ärzte hatten mir erst vor wenigen Wochen, nach unserer Rückkehr aus Lappland, erklärt, dass sie sich für Kate noch eine Frist von achtzehn Monaten erhofften. An diese Hoffnung klammerte ich mich Tag für Tag, obwohl Kate vor meinen Augen immer weniger wurde. Wenn ihr noch achtzehn Monate blieben, würde sie Reefs siebten Geburtstag erleben, Finn wäre dann fünfeinhalb. Kate selbst würde im März vierzig werden. Sie sollte es doch wenigstens bis zu ihrem Vierzigsten schaffen.
    Ich konnte Kate weder helfen noch dabei zusehen, wie sie ihren letzten Brief an die Jungs schrieb. Es war einfach viel zu früh, außerdem fand ich, dass es etwas Privates zwischen Kate und ihren Söhnen sein sollte. Daher rief ich von der Klinik aus Lois an, einen lieben Freund von uns, der Englischlehrer ist. »Kannst du uns helfen?«, fragte ich ihn. »Kate hat deinen Namen genannt, wenn es dir nichts ausmacht. Ich weiß, dass ihr darüber gesprochen habt. Ich kann das einfach nicht.« Ich gab Kate einen Gutenachtkuss im Krankenhausbett und ließ sie mit Lois allein. »Ich sehe dich dann am Morgen. Ich liebe dich. Bis ans Ende der Welt«, sagte ich.
    »Danke, Singe«, sagte Kate und klang auch dankbar. In mir dagegen flammte Wut auf. Wieso war meine Frau mir dafür dankbar? Keine Mutter sollte einen Abschiedsbrief an ihre beiden kleinen Jungs schreiben müssen.
    »Viel Glück«, sagte ich und küsste Kate noch mal auf die Wange. »Bis ans Ende der Welt«, sagte sie leise.
    Auf der Heimfahrt suchten mich Bilder von Patienten heim, die ich in meiner Zeit als Sanitäter behandelt hatte. Ich hatte viele Leben gerettet. Ich sah die Gesichter junger Frauen, die Schindluder mit ihrem Körper getrieben und sich mit Drogen und Alkohol vergiftet hatten. Ganz deutlich sah ich sie unter dem blau blinkenden Licht zucken, sich erbrechen und bewusstlos werden, um dann jedoch allen Erwartungen zum Trotz zu überleben, manchmal sogar gegen ihren Willen. Das Leben war so ungerecht.
    Ohne Kate an meiner Seite war mir in dieser Nacht kalt im Bett, und ich musste stundenlang an die Briefe denken, die sie den Jungs schrieb. Während Reef und Finn tief und fest schliefen, dachte ich voller Dankbarkeit an all die Hilfe, die ich von der Familie und den Freunden bekam und die es mir erlaubte, wann immer es nötig war, Kate im Krankenhaus zu besuchen, ohne dass sich am Tagesablauf der Jungs etwas änderte.
    Was mochte sie den Jungs schreiben? Wie würde sie eine derart schwierige Aufgabe bei all ihrer Zerbrechlichkeit meistern? Wie kam ich auf solche Gedanken? Hier ging es um Kate, meine Kate. In ihrem winzigen kleinen Körper steckte ein Energiebündel von einer Frau. Und ich war mir sicher, dass sie ihre Arbeit hervorragend machen würde. Außerdem ging sie bestimmt nur auf Nummer sicher, es war also kein Grund zur Panik, dass sie diese Briefe jetzt schon schrieb. Ihr würde noch Zeit bleiben.
    Endlich schlief ich ein, oder besser gesagt, mein Körper brach zusammen und nickte immer

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