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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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denn es gibt jede Menge Leute, die sich das Maul über mich zerreißen. Aber es kommt darauf an, wo und bei wem Sie Ihre Erkundigungen eingezogen haben. Jedes Ding hat zwei Seiten.«
    »Meine Nachforschungen waren ganz anderer Art, als Sie sich vorstellen«, sagte sie. »Ich habe Ihren lückenlosen Lebenslauf gesehen und kenne Ihre bestgehüteten Geheimnisse. Mir sind sogar Details bekannt, die Sie schon längst vergessen haben werden. Aber ich messe Sie nicht nach Ihren Taten, und mein Mandant tut das auch nicht. Er macht keinerlei Auflagen, was den Lebenslauf des Kandidaten betrifft. Er weiß nämlich am besten, daß es keine wirklich schlechten Menschen gibt, ebenso wenig wie absolut gute. Wenn man es als Krankheit betrachtet, dann kann man sagen, daß keiner der fast vier Milliarden Menschen moralisch völlig gesund ist. Und so krank sind Sie gar nicht, Andy. Mein Mandant ist sicher, daß Sie geheilt werden können und in der Stunde der Bewährung Ihren Mann stehen. Und er muß es wissen.«
    »Danke«, sagte ich. »Ich werte es als Kompliment, wenn es heißen soll, daß Sie meine Moral nicht als Handikap sehen.«
    »Das soll es in der Tat heißen«, bestätigte sie. »Sie hatten von Haus aus die gleichen Chancen wie die anderen Kandidaten. Inzwischen sind sie gestiegen.«
    »Obwohl ich kein Todeskandidat bin?« fragte ich anzüglich und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das Schmunzeln verging mir jedoch, als sie ernst sagte:
    »Eben weil Sie einer sind, Andy. Sie wissen es nur noch nicht. Unterschreiben Sie jetzt das Formular, damit ich Sie über alle Einzelheiten informieren kann.«
    Ich unterschrieb, ohne den Wisch zu lesen. Ebensogut hätte sie mir auch mein Todesurteil zur Unterschrift vorlegen können. Und in gewissem Sinne war es das auch, obwohl diese Verzichtserklärung nie in Kraft trat.
     
    Doktor Trotta führte mich in einen Nebenraum. Er war ziemlich klein und fensterlos. An der Wand gegenüber der Tür stand ein Vorbau mit einem TV-Gerät, einem Videorecorder und einer Hi-Fi-Anlage. Links und rechts der Tür stand je ein Polstersessel.
    »Aha, das Fernsehzimmer«, sagte ich, um meine Nervosität zu überspielen.
    »Es ist ein Fernsehzimmer besonderer Art«, antwortete sie und ließ sich in den alten Sessel sinken. Sie griff nach dem Fernbedienungselement, das auf der Lehne lag. Damit zielte sie auf den Fernseher und drückte eine der Tasten. Der Bildschirm flimmerte auf, aus der Batterie von Lautsprechern kam ein Quengeln, als würde ein Tonband zu rasch rückwärts laufen. Nachdem ich im anderen Sessel Platz genommen hatte, fuhr sie fort: »Diese Geräte haben alle eine andere Funktion, als es scheint. Das heißt, der Fernseher ist zwar ein herkömmlicher Fernseher, aber er hat einen Zusatz. Das trifft auch auf den Videorecorder zu. Passen Sie auf.«
    Sie drückte wieder eine Taste des Fernbedienungselements. Das Flimmern des Bildschirms brach ab, und eine Szene stabilisierte sich. Sie zeigte einen Hinterhof. Über eine mit Glassplittern gesicherte Ziegelmauer schlich eine graue Katze. Vor der Mauer standen drei überquellende Mülltonnen, im Hintergrund war die Rückfront einer Mietskaserne zu sehen. Die Verfallserscheinungen der Fassade waren deutlich zu erkennen. Das Bild war gestochen scharf, mich störte nur, daß die Farben unnatürlich wirkten und einen grünlichen Stich hatten.
    »Die Szene mußte künstlich erhellt werden, weil es zu diesem Zeitpunkt Nacht war«, erklärte Dr. Trotta flüsternd und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Wie Sie selbst wissen.«
    Ich sagte nichts, starrte nur gebannt auf den Bildschirm. Irgendwie kam mir dieser Hof vertraut vor.
    Der Aufnahmewinkel veränderte sich, bis der Innenhof in einer Totalen zu sehen war. Links im Bild war eine Kellertür zu erkennen, auf die ein Totenkopf gemalt war. Das Licht hinter den angrenzenden Fenstern ging gerade aus.
    Meiner Kehle entrang sich ein unartikulierter Laut, denn plötzlich wurde mir klar, daß dies das Klublokal jener Rocker-Bande war, der auch Erika angehört hatte. Vor zwei Monaten hatte ich am selben Platz gestanden, von dem aus diese Aufnahme gemacht wurde. Es war als sei die Szene durch meine Augen aufgenommen worden.
    Die Tür ging auf, und zwei Gestalten kamen heraus. Ein Schlüsselbund rasselte, dann war das Schnappen eines Schlosses zu hören. Die beiden Gestalten kamen die kurze Treppe herauf. Das eine war ein riesenhafter Kerl in einem nietenbeschlagenen Ledergewand. Das Mädchen an seiner

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