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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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vor dem Hotel ankam, war die Sonne verschwunden. Der Kies knirschte unter den Rädern. Er stieg aus, hörte Wind und ein paar schreiende Möwen. Begann, den Wagen auszuladen.
    »What do you do?« Jemal stand neben ihm.
    »I went shopping. A few things. And medicine for …« Er deutete mit einem Nicken nach oben.
    »Tafa.«
    »Right. Tafa. Your brother.«
    Jemal half ihm, die Paletten und Tüten auszuladen. Bernhard klopfte eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie in den Mund. Hielt die Schachtel Jemal hin.
    Sie rauchten.
    Jemal sagte: »This is very good of you.«
    Er erwiderte nichts.
    »Look, they all are my brothers. The women, of course, are my sisters.« Er lächelte.
    »Have you been to Europe before?«, fragte Bernhard.
    »I was in Lampedusa. Five years ago.«
    »The refugee camp.«
    »They sent me back to Africa. So I went twice through the desert. But then, we failed in Libya because of border police. Now, this is third time. And here I am!« Er breitete die Arme aus wie ein Laien-Showmaster. Es sah armselig aus. Bernhard bereute die Zigarette, bereute den Einkauf, sein Hiersein, alles.
    »How long will you wait?«, fragte er.
    Ein Blick voller Zuversicht. Trotzig. »Mustafa will return. We paid him.«
    »But he’s a criminal.«
    Jemal schnippte seine Zigarette in den Kies. Der Wind trieb sie vor sich her, irgendwann blieb sie in einer Kuhle hängen. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. Weiße Zähne. Ein first-class refugee.
    »We all are!«

20
    Er war kein Mensch, der Vorahnungen hatte. Er hatte nur gewusst, dass es heute geschehen würde. Merkel und Sarkozy hatten sich auf einen Bluff geeinigt. Das Ding war nur, dass er nicht mehr schlafen konnte. Er wusste, er hatte recht; nur die Zeit arbeitete gegen ihn. Wenn die Griechen heute ihre Bonds loswurden, waren sie wieder im Geschäft. Und er draußen.
    Er wälzte sich hin und her. Die Börse in London öffnete um 9, in Tokio schon um 4.30 Uhr. Vielleicht verriet ihm das, wohin das Pendel ausschlagen würde. Er musste auf alles vorbereitet sein.
    Er zog den Morgenmantel an und ging ins Arbeitszimmer hinunter. Unbenutzt standen sein Laufband und der Hanteltrainer im Raum. Wie fossile Überbleibsel.
    Er nahm eine Reisetasche aus dem Schrank, schlich wieder nach oben ins Schlafzimmer, suchte ein paar Anzüge zusammen. Das Hemd für den nächsten Tag lag schon bereit. Hinter ihm atmete Carmen ruhig. Er stopfte Unterwäsche und Socken in die Tasche, ging zurück nach unten. Überlegte, was er noch brauchen würde. Welche seiner »persönlichen Gegenstände«.
    Sein Notebook. Maus und Stromkabel.
    Er ging ins Bad, packte seine Medikamente ein, seine Zahnbürste. Sah sich um. Was war das alles für Krempel? Kehrte abermals ins Arbeitszimmer zurück, versuchte sich zu konzentrieren.
    Du bist zum letzten Mal hier, sagte er sich. Zum letzten Mal.
    In einer Schublade fand er alte Fotos. Manuel, kurz nach der Geburt, das verschrumpelte rote Gesicht mit den geschlossenen Augen. Carmen, die ihn im Arm hielt, das Gesicht verquollen und grau von den Strapazen. Manuel im Strampler. Manuel in der Sitzschale, jetzt schon mit tiefdunklen Pupillen. Ein kleiner Mensch.
    Wie lange hatte er nicht an Manuel gedacht? Es kam ihm vor wie Jahre. Doch es fühlte sich an, als hätte er ihn noch gestern in den Armen gehalten. Die Babycreme gerochen. Es war ganz nah. Als müsste er jetzt, in diesem Augenblick, nur ins Nebenzimmer gehen. Er schloss die Augen. Es stimmte, er hatte jahrelang nicht an ihn gedacht. Erst als Valerie zurückgekehrt war.
    Er steckte die Fotos zurück und schloss die Schublade ab. Mit dem Schlüssel ging er rüber in die »Lounge«, öffnete die Terrassentür, trat hinaus. Die automatischen Gartenlaternen dimmten auf. Ging die paar Stufen hinunter, hinüber zum Schuppen, in dem Carmens Gartengeräte lagerten. Hinter dem Schuppen, in der lockeren Erde eines Geranienbeets – wenn es Geranien waren –, lag ein Stein. Er wusste nicht, wofür das alles wichtig war oder sein könnte. Er lüftete den Stein, eine Kellerassel kroch aus der Dunkelheit hervor. Legte den Schlüssel in die Vertiefung und den Stein wieder an dieselbe Stelle.
    Er betrachtete das erleuchtete Haus. Seit sieben Jahren wohnten sie hier. Eine Weile hatte er gedacht, dies sei die Endstation. Der eigentliche Ort. Eine Weile hatte er gedacht, das Haus sei ein Symbol für Besitz, Erfolg und Glück, und dieses Symbol fülle sein Leben aus. Er sah auf die Uhr.
    Kurz vor halb

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