0163 - Um das Leben meines Freundes
Phil sah schon von weitem, als er noch nicht einmal die Ecke der Morris Street erreicht hatte, daß sich am Bowling Green ungewöhnlich viele Menschen befanden. Betrieb ist in dieser Ecke der Downtown immer. Das Zollhaus liegt an der südlichen Breitseite des Bowling Green, links steht das Cunard Building, rechts ragt die massive, halbrunde Fassade des Broadway Building 26 empor, und eine ganze Menge von Leuten arbeiten sogar abends nur in diesen drei Häusern. Also Leute sind da immer. Aber an diesem Abend waren es besonders viele.
Vielleicht macht die Heilsarmee dort ein bißchen Rummel, dachte Phil, blieb vor einem Schaufenster stehen und besah sich die Auslagen. Als er sich davon überzeugt hatte, daß die Preise überall in New York hoch sind, schlenderte er weiter. Gegen den Autolärm hörte er das ferne Gewirr vieler Stimmen, jenes dumpf brausende Geräusch einer erregten Menschenmenge.
Bei der Heilsarmee geht es jedenfalls ruhiger zu, dachte Phil und entschloß sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Er beschleunigte seine Schritte und wechselte auf die Seite des Broadway Building 26 hinüber. Die Menschenmenge, die sich rings um den kleinen Grünplatz drängte, war inzwischen so angewachsen, daß sie anfing, den Verkehr auf den Straßen zu behindern.
Phil schob sich weiter vor, bis er einen Polizisten vom ersten Revier mit vor der Brust verschränkten Armen entdeckte. Er stieß ihn an. Der Polizist drehte sich um. Er erkannte Phil, den er irgendwann einmal dienstlich kennengelernt haben mochte, auf den ersten Blick, tippte mit den Fingerspitzen an eine Mütze und sagte:
»Guten Abend, Sir!«
»Hallo, Phil!« rief ein junger, mittelgroßer Mann von blasser Gesichtsfarbe, der neben dem Polizisten gestanden hatte. Sein Gesicht tauchte neben den mächtigen Schultern des Gesetzeshüters wie die Scheibe des Vollmondes auf.
Es war Robby Maloon, der im Büro des Staatsanwaltes im County Court House angestellt war. Er grinste Phil freundlich zu, so daß man die Zahnlücke links von seinen unteren Schneidezähnen sehen konnte.
»Hallo, alle miteinander«, erwiderte Phil und schob sich den Hut ins.Genick. »Was geht denn hier vor?«
»Wir wissen es noch nicht genau, Sir«, erklärte der Polizist. »Da sind ein paar junge Leute, die ein bißchen Radau machen. Hoffentlich bleibt es dabei.«
»Es sieht noch ziemlich harmlos aus«, meinte Maloon. »Aber man kann ja nie wissen, wie sich solche Massenaufläufe entwickeln.«
Phil stellte sich auf die Zehenspitzen und peilte über die Köpfe der vor ihm Stehenden nach der Grünfläche hin. Vierzig oder fünfzig Jugendliche waren durch die Tore im Zaun auf die Grünfläche gegangen. Auf der zweiten Stufe des Denkmals, das mitten im Bowling Green steht und einen sitzenden Mann darstellt — weder Phil noch ich hatten je Zeit, die Inschrift zu lesen und nachzusehen, wer der Sitzende eigentlich sein soll — auf der zweiten Stufe also stand ein junger Bursche Mitte der Zwanziger, hatte die Daumen hinter den Gürtel seiner Blue Jeans gehakt und schrie auf die Jungen ein. Ab und zu erwiderten sie im Chor sein Gebrüll.
»Die würden es bald aufgeben, wenn die Erwachsenen nicht so neugierig stehenblieben«, sagte Phil. »Aber man gafft den Schreihälsen ja so interessiert zu, daß sie sich enorm wichtig Vorkommen müssen.«
»Ganz meine Meinung, Sir«, nickte der Polizist. »Die würden sich schnell verkrümeln und die Lust an der Brüllerei verlieren, wenn sich niemand um sie kümmerte. Aber so!«
Phil strengte sich an, irgend etwas zu verstehen, aber im Hupen der Autos, im Raunen der Gaffenden und im Gebrüll der Jungen war es völlig unmöglich. Er sah auf seine Uhr. Die Zeiger standen auf 19.45 Uhr.
»Haben Sie schon Ihr Revier oder das Hauptquartier verständigt?« fragte Phil. Der Polizist schüttelte den Kopf:
»No, Sir. Noch ist ja nichts passiert. Aber mein Kollege sitzt da drüben im Wagen. Wenn ich den rechten Arm hochhebe, ruft er sofort an und holt Verstärkung.«
Phil nickte zufrieden. Mehr konnte man im Augenblick wirklich nicht tun, wenn man nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen wollte. Er wollte sich gerade verabschieden, als der Bursche am Denkmal einem anderen Jungen mit der Faust ins Gesicht schlug.
Augenblicklich setzte ein ohrenbetäubender Krach ein. Der Bursche am Denkmal packte den Geschlagenen, dem Blut übers Kinn lief, und zerrte ihn die Stufen des Sockels hoch. Mit der anderen Hand zeigte er auf den verschüchterten Jungen und
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