Gibraltar
Er blinzelte, erkannte eine schemenhafte Gestalt, dann zwang ihn ein Hammerschlag hinter seiner Stirn, die Augen wieder zu schließen. Er versuchte, irgendetwas zu sagen. Riss die Arme hoch und hielt sie schützend über seinen Kopf. Eine Stimme neben ihm, dann war sie weg.
Er raffte sich benommen auf, in seinem Kopf kreiste ein Schwarm Hornissen. Irgendwo, im Zentrum des Schmerzes, hatte eine zugestochen. Er musste sie herausziehen, verjagen, totschlagen, was auch immer. Das Zimmer drehte sich um ihn, die Wände bogen sich auseinander und stauchten sich zusammen wie in einem Film über Bewusstseinserweiterung. Sein Körper wie angenagelt in der Wanne.
Minuten, Stunden, Tage später beendete seine Hand die Reise zu der schmerzenden Stelle an seinem Kopf. Als er die Finger vor seine Augen senkte, waren sie rot. Das brachte ihn etwas zu sich. Er war in Spanien, niemand wusste davon, er würde verbluten. Bilder von wütenden Männern durchzuckten sein Bewusstsein, ein Gefühl, als sei sein Auto fort, dann versuchte er, etwas zu sagen, ohne zu wissen, was oder zu wem. Heraus kam ein Stöhnen. Da war doch gerade jemand gewesen. Wer? Da war niemand.
Er brauchte Hilfe. Es gab keine, er musste es allein schaffen. Zuerst aufstehen. Er versuchte, die entsprechenden Nervensignale auf ihrem Weg zum Gehirn zu eskortieren, damit sie nicht verlorengingen. Dann wurde es wieder dunkel.
Irgendwann – er wusste nicht, ob früher oder später – gelang es ihm, sich aus der Wanne zu kämpfen. Der Schmerz an seinem Kopf war infernalisch, das Blut lief ihm über Stirn und Augen. Er bekam die Wand zu fassen, schaffte es trotz des Schwindels, sich hinzustellen. Ein paar Minuten später – jetzt waren es Minuten – nahm er eine Flasche Wasser aus dem Flur und ging mit winzigen, vorsichtigen Schritten ins Badezimmer. Trank ein wenig und goss behutsam den Rest über seinen Kopf. Blassrote Schlieren auf der Emaille. Kam durch den scharfen Schmerz vollständig zu sich und zu klaren Gedanken.
Er ging zurück in das große Zimmer, sein Telefon hatte auf seiner Tasche gelegen. Es war weg. Die Tasche war noch da, auch seine Kleidung, wenngleich nur noch getragene übrig war. Außerdem fanden sich 25 Euro. Sein letztes Geld.
Er wusch sich und überzeugte sich im Spiegel, dass er einigermaßen unauffällig unter Leute gehen konnte, ohne als Zombie erkannt zu werden. Nahm ein paar Keksriegel und die letzte Flasche Wasser, hängte sich die Sporttasche über die Schulter und legte das Jackett darüber, für das es zu warm war. Steckte sich trotz der Kopfschmerzen eine Zigarette an, weil es sonst nichts gab, mit dem er sich von seiner Tatkraft überzeugen konnte. Trat auf die Straße.
Unten am Kreisverkehr war sein Hemd durchnässt und das Wasser zur Hälfte getrunken. Bis La Línea waren es rund 30 Kilometer. Das war in fünf, vielleicht sechs Stunden zu schaffen. Er würde mindestens acht brauchen.
Er hatte Geld für eine Übernachtung. Er dachte nicht darüber nach, dass er aussah wie ein Penner. Dass er keine Ahnung hatte, wo er schlafen, wo er ein sauberes Hemd herbekommen, wie er ohne Pass nach Gibraltar gelangen sollte. Er wandte sich nach links, zum Meer. Weit in der Ferne sah er die dunkle Kontur eines Osborne-Stiers. Ging los.
JOHANN
1
I ch kenne dieses Geräusch, den Maschinentakt meines Sterbens. Jeder Herzschlag ein Kredit über zwei oder drei Sekunden. Die Stille, die unter allem liegt und heraufdrängt, um mich zu sich zu ziehen. Den sanften Druck in meinem Rücken, die Dunkelheit um mich. Die Kälte. Ich kenne das alles. Ich kenne jedes Molekül der Luft. Jede Schraube, die das Gestell des Betts zusammenhält. Ich bin in alldem, das ist mein Trost.
Die Wäscherei ist Kreditnehmer bei Alberts. Sie sitzt in der Kantstraße, nicht weit von unserem Kontorhaus. Der Besitzer der Wäscherei heißt Pocholsky und hat einen Exklusivvertrag mit der Klinik, Restlaufzeit 2 Jahre und 4 Monate, seine Zinsen liegen bei 5,7 Prozent im letzten Jahr. Die Fensterdichtung stammt von einem Hersteller in Tübingen, der vor zwei Jahren an den Henkel-Konzern verkauft wurde; an Henkel unterhält Alberts 2,9 Prozent Beteiligung. Die Reflektoren in den Leuchtstoffröhren auf der Station und in der ganzen Klinik sind von der Firma Kaveleit, die ihre Kredite über die CPM -Holding in Frankfurt am Main bezieht, die wiederum zu 51 Prozent Lizenznehmer von Alberts ist. Das ganze Gebäude ist von 1925 bis 1927 erbaut worden mit
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