Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
Vom Netzwerk:
hölzerne Bank unter dem alten Baum die vereinzelten Wanderer zum Ausruhen eingeladen und auch Botho Ahlsens hatte diesen Rastplatz ab und zu genutzt. Vor ein paar Jahren schon war die Bank in sich zusammengefallen. Im letzten Herbst dann hatten Waldarbeiter einige ungerade gewachsene, doch recht dicke Baumstämme am Wegrand liegen lassen, die nun ersatzweise eine brauchbare Sitzgelegenheit boten.
Botho Ahlsens trug in seinen geräumigen Jackentaschen eine kleine Flasche Bier und zwei Schmalzbrote mit sich und freute sich auf die stärkende Rast. Schon von Weitem sah er auf einem der angesteuerten Buchenstämme, am hinteren Ende, etwas Schwarzes liegen. Beim Näherkommen erkannte er, dass es Fingerhandschuhe aus dunklem Leder waren. Wie in einem Schaufenster lagen sie ordentlich beisammen, mit den Daumen nach außen, die Innenflächen nach oben. Sie waren sauber, bestimmt noch neu und so groß, dass sie nur einem Mann gehören konnten. Botho Ahlsens sah sich um. Niemand war zu sehen. Von fern hörte er, wie sich aus Richtung Wiepke ein Traktor näherte. Das waren bestimmt wieder die Landarbeiter aus Waldaus Nachbardorf, die den Weidezaun reparierten und weiteres Material antransportierten. Ihnen konnten diese Dinger nicht gehören, denn wie Arbeitshandschuhe sah das Paar auf keinen Fall aus. Und überhaupt, wer trug denn jetzt, Ende April, noch Wintersachen?
Von dem Rätsel angelockt, trat Botho Ahlsens ganz dicht heran und beugte sich hinunter. Dann weigerte sich sein Verstand zu glauben, was er vor sich sah: rohes Fleisch, Knochen! Das Bild formte sich nur schwer zu etwas Offensichtlichem. Selbst mit zusammengekniffenen Augen wurde es nicht besser. Er starrte auf abgetrennte Hände!

     
     
    ~ 3 ~
     
    »Walter, du bringst mich ja um! Ich bekomme keine Luft mehr!« Laura Perch protestierte nicht ernsthaft gegen die herzliche Umarmung.
»So blass hast du schon vorher ausgesehen. Daran habe ich keinen Anteil.« Walter Dreyer ließ sie sacht los. Er war froh, dass der erste Vormittagszug in Gardelegen halbwegs pünktlich eingetroffen war, denn auf dem Bahnhof wollte er nicht länger als unbedingt nötig verweilen. Vor Wochen schon hatte sich der Waldauer Ortspolizist ein rotes Kreuzchen auf seinen Jahreskalender gemacht, um diesen für ihn wichtigen Termin nicht zu verpassen. Weitere Markierungen waren nicht hinzugekommen. In seinem Dorf führte er ein ausgeglichenes Leben. »Komm, gib mir den großen Koffer. Das Auto steht gleich da vorn.«
»Früher hast du mich zur Begrüßung hoch in die Luft gehalten und dich dann mit mir gedreht, weißt du noch?«, erinnerte Laura ihn und war bemüht, seinem forschen Schritt zu folgen.
Für seine vierundfünfzig Jahre machte Walter einen überaus dynamischen Eindruck. Nicht nur, dass er mit seinem vollen Haar, in das sich vereinzelte graue Strähnen verirrt hatten, deutlich jünger wirkte, hatten ihn der Verzicht auf Nikotin, viel Bewegung und vielleicht auch die Gene vor einigen äußeren Zeichen seines Alters bewahrt. Trotz des Gepäcks versuchte er, Laura einen Arm um die Schulter zu legen und schlug unternehmungslustig vor: »Machen wir das ruhig noch mal – aber auf deine Verantwortung und vielleicht auch ohne den riesigen Anlauf, mit dem du immer auf mich zugestürmt kamst.« Hatte er doch gerade selbst bemerkt, dass er viel zu schnell lief. Nachsichtig sah er auf ihre eleganten Sandalen mit den bleistiftdünnen, hohen Absätzen.
»Kann es sein, dass wir beide dreißig Jahre jünger waren?«, merkte Laura an. »Lassen wir es zukünftig lieber beim Drücken.« Sie versuchte, sich ihren Rucksack wieder auf die Schulter zu schieben, und kämpfte dabei mit einem voluminösen, derben Stoffbeutel, gefüllt mit Reiseverpflegung, Lektüre und einigen Flaschen Wein.
»Wie ich sehe, hast du tatsächlich drei Wochen freibekommen«, kommentierte Walter die Anzahl der Gepäckstücke, als er sie in den Kofferraum hievte.
»Ja. Warum klingst du so erstaunt?«, fragte sie und stieg ein.
Walter fuhr los und nahm das Gespräch wieder auf. Er begründete grinsend seine Skepsis: »Na, eure große Feierei in der Hauptstadt! 750 Jahre! Versteh mich nicht falsch, ich freue mich immer, wenn du hier bist. Das weißt du. Doch ich hätte gedacht, zum Berliner Stadtjubiläum sind dort sämtliche Stadtarchivare unabkömmlich.«
Laura wusste, dass er dem ganzen Brimborium nichts abgewinnen konnte und sie nur etwas aufziehen wollte. Mit gespielter Empörung antwortete sie: »Das sind sie auch, Walter.

Weitere Kostenlose Bücher