Gilbert, Elizabeth
Lügner
beziehungsweise bullshit zu nennen. Es ist etwas, was im
alten Europa garantiert zu einem Duell geführt hätte.
»Schätzchen«, sagt sie mit tränenden Augen. »Ich bin keine bullshitl«
»Ich weiß, Wayan. Deswegen bin ich ja so sauer. Ich versuche,
meinen Freunden in Amerika klarzumachen, dass Wayan keine Betrügerin ist, aber
sie glauben mir nicht.«
Sie legt ihre Hand auf die meine. »Tut mir Leid, dass ich
dich in Klemme gebracht.«
»Wayan, das ist eine ganz gewaltige Klemme. Meine Freunde
sind verärgert. Sie sagen, dass du ein Grundstück kaufen musst, ehe ich nach
Amerika zurückkomme. Sonst, sagen sie, müssen sie ... das Geld
wieder zurückfordern.«
Jetzt sieht sie nicht mehr aus, als würde sie gleich in
Ohnmacht fallen; sie sieht aus, als müsste sie sterben. Während ich der armen
Frau - die offenbar nicht weiß, dass ich das Geld genauso wenig von ihrem Konto
holen kann, wie ich ihr ihre indonesische Staatsbürgerschaft aberkennen kann - diesen
Bluff auftische, fühle ich mich wie das größte Arschloch aller Zeiten. Doch
woher sollte sie es auch wissen? Schließlich habe ich das Geld auf ihr Sparbuch
gezaubert, nicht wahr? Konnte ich es da nicht ebenso leicht wieder verschwinden
lassen?
»Glaub mir«, sagt sie, »ich finde Land. Sofort, mach kein
Sorge, ich finde Land, sehr schnell. Bitte, mach kein Sorge ... Vielleicht in
nächste drei Tage alles fertig, ich verspreche.«
»Das musst du auch, Wayan«, sage ich mit nicht nur gespieltem
Ernst. Und das muss sie wirklich. Ihre Kinder brauchen
ein Heim. Sie steht kurz vor der Zwangsräumung. Das ist nicht die Stunde der
Lügner und Schaumschläger.
»Ich gehe jetzt wieder zurück zu Felipe«, sage ich. »Melde
dich, wenn du etwas gekauft hast.«
Dann lasse ich sie stehen und weiß, dass sie mir
nachblickt, vermeide es aber, mich noch einmal nach ihr umzusehen. Während des
ganzen Heimwegs schicke ich die seltsamsten Stoßgebete gen Himmel: »Bitte,
lieber Gott, mach, dass sie mich belogen hat.« Denn wenn sie das nicht getan
hat, wenn sie wirklich nicht in der Lage ist, trotz einer Bargeldspritze von
achtzehntausend Dollar ein Grundstück zu finden, dann haben wir hier wirklich
ein dickes Problem, und ich wüsste nicht, wie diese Frau je in der Lage sein
sollte, sich aus ihrer Armut zu befreien. Aber wenn sie mich belogen hat, dann
war da ein Hoffnungsschimmer. Dann hätte sie bewiesen, dass sie über eine
gewisse Gerissenheit verfügt und sich in dieser unehrlichen Welt letztlich
behaupten würde.
Ich gehe zu Felipe und fühle mich entsetzlich. Ich habe
schon so lange nicht mehr gelogen, und das war nun wirklich eine faustdicke
Lüge. »Wenn Wayan nur wüsste, was für hinterhältige Pläne ich hinter ihrem
Rücken ...«
»... zu ihrem eigenen Nutzen aushecke«, beendet er meinen
Satz.
Vier Stunden später klingelt bei Felipe das Telefon. Es
ist Wayan. Völlig außer Atem. Sie will mich wissen lassen, dass die Sache
erledigt ist. Sie hat dem Bauern (dessen »Frau« mit der Aufteilung des
Grundstücks einverstanden war) die zwei aro abgekauft.
Wie sich herausstellt, waren auch keinerlei Zauberträume, priesterliche
Interventionen oder taksu- Strahlungstests
nötig. Wayan hat sogar schon eine Besitzurkunde, hält sie in ihren Händen! Und
notariell beglaubigt ist das Ganze auch! Auch habe sie, wie sie mir versichert,
bereits Baumaterial für ihr Haus bestellt, und Anfang nächster Woche - also
noch vor meiner Abreise - würden die Arbeiter mit dem Bau beginnen. So dass ich
sogar Fotos machen könne! Sie hoffe, dass ich ihr nicht mehr böse sei. Ich
müsse wissen, dass sie mich mehr liebe als ihr Leben, mehr als die ganze Welt.
Ich sage ihr, dass auch ich sie liebe. Und es kaum
erwarten könne, sie eines Tages in ihrem schönen neuen Haus zu besuchen. Und
dass ich gern eine Fotokopie von dieser Besitzurkunde hätte.
Als ich auflege, meint Felipe nur: »Braves Mädchen.«
Ich weiß nicht, ob er sie oder mich meint. Doch er öffnet
eine Flasche Wein, und wir trinken auf unsere liebe Freundin Wayan, die
balinesische Landbesitzerin.
Und dann meint Felipe: »Können wir jetzt bitte in Urlaub
fahren?«
107
Der Ort, für den wir uns schließlich entscheiden, ist eine
winzige Insel namens Gili Meno, vor der Küste von Lombok gelegen, der östlichen
Nachbarinsel Balis. Ich kenne Gili Meno schon von einem früheren Besuch und
möchte die Insel Felipe, der noch nie dort war, gerne zeigen.
Für mich ist Gili Meno einer der
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