Auferstanden: Thriller (German Edition)
1. Kapitel
FREITAG, 6.00 UHR
Vor einer halben Stunde war der Tag angebrochen, und die Welt erwachte allmählich zum Leben. Die Sonne kroch über das frisch gemähte Gras, über das Spielzeug, das auf der Wiese hinter dem Haus verstreut herumlag, und durch die Fenster auf der Rückseite des bescheidenen Kolonialhauses. Die Landhausküche wurde von dem Morgenlicht erhellt, als die Sonnenstrahlen über die cremefarbenen Fliesen und den Dielenfußboden aus Eichenholz huschten.
Ein großer, schlanker Mann mit einem muskulösen Körper und zerzaustem schwarzem Haar betrat in einem blauen Bademantel die Küche. Er hatte ein markantes, intelligentes Gesicht, und ihm haftete eine gewisse Abgeklärtheit an. Ein Blick in seine dunkelbraunen Augen ließ vermuten, dass er in den neununddreißig Jahren seines Lebens schon eine Menge gesehen hatte.
Ein Berner Sennenhund lief neben ihm her. Der Mann beugte sich hinunter, strich mit den Händen durch das lange schwarz-braun-weiße Fell und kraulte den Hund am Bauch und hinter den Ohren. »He, Fruck«, flüsterte er. Es gefiel ihm, seinen Haustieren sonderbare Namen zu geben, was immer wieder dazu führte, dass er schnell mit Fremden ins Gespräch kam.
Der Mann griff in den Kühlschrank, nahm eine Cola heraus, riss die Lasche auf und trank sie halb leer, als handelte es sich um dringend benötigte Luft für seine Lunge. Er war kein Kaffeetrinker, war es nie gewesen und zog es vor, sich das Koffein durch ein süßes Kaltgetränk zuzuführen. Als er sich in der Küche umschaute, fiel sein Blick auf den immer größer werdenden Stapel Rechnungen neben dem Telefon und auf den überquellenden Abfalleimer. Sein schlechtes Gewissen meldete sich, denn er hatte seiner Frau vor über einem Tag versprochen, den Müll hinauszutragen. Und schließlich sah er, dass auf der Küchenzeile keine Bagels, kein Frischkäse und keine Zeitung lagen.
Kurz entschlossen lief er durch den Flur des kleinen Hauses, öffnete die Tür und sah die Zeitung auf der Treppe aus Schiefergestein liegen. Er hob sie auf, klemmte sie sich unter den Arm und atmete tief ein. Die Luft an diesem Sommermorgen war frisch und klar und voller Hoffnung. Fruck rannte an ihm vorbei durch die Tür und auf den Rasen. In der Hoffnung, dass sein Besitzer schon am frühen Morgen mit ihm herumtoben würde, sprang der Hund ausgelassen umher. Doch das musste warten.
Jack kehrte in die Küche zurück, warf die Zeitung auf die Küchenzeile und öffnete die Tür, die zur Garage führte. Als er den frisch gewaschenen blauen Audi seiner Frau dort stehen sah, schüttelte er den Kopf. Das konnte eigentlich nur eins bedeuten. Mit einem gequälten Lächeln ging er auf den Wagen zu und schaute auf die Tankanzeige. Der Tank war leer. Das erklärte, warum sein weißer Chevy Tahoe nicht in der Garage stand. Es war ein ständiges Streitthema, dass sie erst zur Tankstelle fuhr, wenn kaum noch ein Tropfen Sprit im Tank war. Am nächsten Tag nahm Mia immer, ohne ein Wort zu sagen, seinen Wagen und überließ es ihm, auf gut Glück mit ihrem Auto zur Tankstelle zu fahren und sich eine Ausrede einfallen zu lassen, warum er mal wieder zu spät zur Arbeit kam.
Mia war seit jeher ein Morgenmensch. Um sechs Uhr stand sie auf, kaufte um Viertel nach sechs beim Bäcker heißen Kaffee und Bagels, kehrte nach Hause zurück, schmierte Sandwiches, brachte die Mädchen um sieben Uhr zum Bus und fuhr zur Arbeit. Vermutlich war Mia schon um halb sechs aufgestanden und jetzt auf dem Weg in die Stadt. Inzwischen hatte sie tausend Dinge erledigt, für die andere einen ganzen Tag brauchten.
Um diese Zeit ging Jack Keeler oft erst ins Bett und betete, dass die Sonne an diesem Tag nicht aufgehen möge. Oft bekam er gegen neun Uhr abends einen zweiten Energieschub. Dann arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren, und plötzlich fand er Lösungen für alle Probleme, die sich in Bezug auf seinen Job und sein Leben stellten. Doch morgens um halb sieben wachte er immer auf, ob er nun acht oder nur zwei Stunden geschlafen hatte. Der Leidensdruck entschied, ob es ein Morgen mit einer oder mit zwei Dosen Coca-Cola war.
Jack nahm eine zweite Dose aus dem Kühlschrank, stieg die Treppe hinauf und spähte in das Zimmer von Hope und Sara. Die rosaroten Betten waren gemacht, und das Spielzeug war weggeräumt – das Zimmer sah ordentlicher aus als seit Wochen. Den unzertrennlichen Schwestern, die fünf beziehungsweise sechs Jahre alt waren, machte es große Freude, abends, wenn Jack von
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