Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
aber ich kann nicht dulden, dass du dich ganz meiner Kontrolle entziehst.«
Wie bitte? »Wie genau sieht denn eine Beziehung unter Erzengeln aus?«, fragte sie mit aufrichtiger Neugier.
Daraufhin schwieg er eine Weile. »Da Michaelas und Urams Verbindung nicht mehr besteht, gibt es nur noch eine feste Beziehung.«
»Und da die Göttliche selbst ein Erzengel ist, waren sie einander ebenbürtig.«
Kaum wahrnehmbar nickte er. Er war so verdammt schön, dass es ihr schwerfiel, in seiner Gegenwart klar zu denken, obgleich ihr bewusst war, dass er einen Hang zur Rücksichtslosigkeit besaß, der mit jeder Faser seiner Seele verwachsen war. Im Bett äußerte sich diese Rücksichtslosigkeit in einer alles beherrschenden Wildheit, die Frauen vor Lust um den Verstand brachte.
»Wer sind die anderen beiden?«, fragte sie und kämpfte gegen das bohrende Verlangen in sich an. Seit sie erwacht war, hatte er sie in seinen Armen gehalten; seine Umarmung war kraftvoll und stark, manchmal sogar herzerwärmend sanft gewesen. Aber heute sehnte sie sich nach heftigeren Zärtlichkeiten.
»Elias und Hannah.« Ein Funkeln trat in seine Augen, die jetzt eine Farbe annahmen, die sie schon einmal im Atelier eines Malers gesehen hatte. Preußischblau. So hieß diese Farbe, Preußischblau. Satt. Exotisch. Irdisch auf eine Art, wie sie es bei einem Engel nie für möglich gehalten hätte, bis der Erzengel von New York in ihr Leben getreten war.
»Du wirst gesund werden, Elena. Und dann werde ich dir zeigen, wie Engel tanzen.«
In diesen nüchtern hervorgebrachten Worten klang unterschwellig eine Verheißung mit, von der sie einen ganz trockenen Mund bekam. »Elias?«, lockte sie mit rauer Stimme.
Er sah sie unverwandt an, seine Lippen waren grausam und sinnlich zugleich. »Er und Hannah sind schon seit Jahrhunderten ein Paar. Obwohl sie mit der Zeit immer mächtiger geworden ist, heißt es, sie sei zufrieden damit, seine Gehilfin zu sein.«
Elena musste eine Weile über dieses veraltete Wort nachdenken. »Der Wind unter seinen Flügeln?«
»Wenn du so willst.« Schlagartig bestand sein Gesicht nur noch aus scharfen Konturen und Kanten – männliche Schönheit in unbarmherziger Reinkultur. »Damit würdest du dir auch nichts vergeben.«
Elena wusste nicht so recht, ob das als Vorwurf oder Befehl gemeint war. »Nein, würde ich nicht.« Noch im Sprechen stand ihr deutlich vor Augen, dass sie all ihre Kraft würde aufbieten müssen, um sich gegen Raphaels unglaubliche Stärke behaupten zu können.
Wieder klopfte er mit dem Umschlag, um es noch spannender zu machen. »Von heute an tickt die Uhr. In etwas mehr als zwei Monaten musst du auf den Beinen und in der Luft sein.«
»Warum?«, fragte sie voll unbändiger Freude.
Preußischblau erstarrte zu schwarzem Eis. »Lijuan gibt dir zu Ehren einen Ball.«
»Meinst du wirklich Zhou Lijuan, die Älteste aller Erzengel?« Im Nu war die Freude verpufft. »Sie ist … anders.«
»Ja. Sie hat eine merkwürdige Entwicklung genommen.« Etwas Dunkles hatte sich in seine Stimme eingeschlichen, Schatten, so dunkel, dass sie beinahe greifbar waren. »Sie ist nicht mehr ganz von dieser Welt.«
Elena verspürte ein Kribbeln auf der Haut. Wenn schon ein Unsterblicher so etwas sagte … »Warum sollte sie einen Ball für mich ausrichten? Sie kennt mich doch überhaupt nicht.«
»Ganz im Gegenteil, Elena. Der gesamte Kader der Zehn weiß von dir – immerhin hatten wir dich engagiert.«
Bei dem Gedanken, dass das mächtigste Gremium der Welt an ihr Interesse hatte, brach Elena der Angstschweiß aus. Dass Raphael dazugehörte, machte die Sache nicht besser. Schließlich wusste sie, wozu er imstande war, über welche Macht er verfügte und wie leicht es für ihn wäre, die Grenze zum wahrhaft Bösen zu überschreiten. »Jetzt sind es nur noch neun«, sagte sie. »Uram ist ja tot. Es sei denn, ihr habt einen Ersatz gefunden, während ich im Koma lag?«
»Nein. Menschenzeit bedeutet uns nur wenig.« Die lässige Gleichgültigkeit eines Unsterblichen. »Lijuan geht es um Macht – sie will meinen kleinen Liebling sehen, meine Achillesferse in Augenschein nehmen.«
2
Seinen Liebling. Seine Achillesferse.
»Sind das ihre Worte oder deine?«
»Spielt das eine Rolle?« Ein gedankenloses Achselzucken. »Es stimmt ja.«
Mit tödlicher Treffsicherheit schleuderte sie das Messer. Raphael fing es in der Luft – an der Schneide. Scharlachrot floss das Blut über seine goldene Haut. »Hast du nicht das letzte
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