Gildenhaus Thendara - 7
lebendig herauskomme, werde ich zu Rohana gehen und sie bitten, mich zu unterrichten. Mit ausgebildetem Laran wäre es mir möglich gewesen, meine Pflicht zu erfüllen. Ich habe immer angenommen, nur ganz wenig begabt zu sein, aber jetzt weiß ich,
daß ich hätte lernen können, das zu benutzen, was ich habe. Ich habe Peter getötet. Ich habe Alekis Leben geopfert, weil ich nicht akzeptieren wollte, was ich bin. Sie hielt Rückschau auf ihr ganzes Leben und fand überall Fehler, angefangen von dem Augenblick, als sie sich abwandte…abwandte…
Sie stand auf Wüstensand, und die Sonne ging auf… Eine große Blutlache war rot wie die aufgehende Sonne, und zum ersten Mal sah Jaelle mit erwachendem Bewußtsein das Gesicht ihrer Mutter. Sie wurde hineingerissen in den Schmerz und das Entsetzen ihrer Mutter, und mit einer wahnsinnigen Anstrengung ließ sie das alles tot und stumm werden. Von dem Augenblick an habe ich mein Laran blockiert, weil ich den schrecklichen Schmerz ihres Todes nicht ertragen konnte. Sie starb, sie verließ Jalaks Haus mit dem Wissen, daß sie sterben würde, um mich nicht in Ketten aufwachsen zu lassen. Sie starb, damit ich frei sein konnte, und ich wollte nicht akzeptieren, daß ich die Ursache ihres Todes war. Sie befreite mich. Aber ich legte mir selbst mit diesem Schuldgefühl Ketten an…
Und jetzt weiß ich nicht, wie ich öffnen soll, was ich weggeschlossen habe. Ich habe Peter getötet, weil ich es nicht ertrug, mich zu erinnern. Ich schlug blindlings zu, und ich tötete ihn. Wie ich meine Mutter getötet habe…
Sie zwang sich, wieder aufzusteigen, obwohl ihr ganzer Körper von der Anstrengung zitterte. Alles tat ihr weh, sie war lange Zeit nicht mehr geritten, und jetzt hatte sie fast drei Tage im Sattel gesessen. Für das Kind kann das auch nicht gerade das Beste sein, dachte sie. Aber es war zu spät, sich Gedanken um das Kind zu machen. Das hätte sie vor der Empfängnis tun sollen. Oder bevor sie seinen Vater umbrachte…
Oh, hör auf zu grübeln. Du bist mit Camillas Geschichte aufgewachsen, wie bei Rafaella unterwegs die Wehen einsetzten und sie kaum Zeit hatte, die Hose auszuziehen, und als das Kind da war, ritt sie nach Hause. Die Kleine kann für sich selbst sorgen, sie hat es da drinnen schön gemütlich. Und doch war ihr, als weine das Kindchen irgendwo. Arme Kleine. Niemand will sie. Ihr Vater wollte sie, aber ihr Vater ist tot. Was soll aus ihr werden?
Aleki mußte zumindest versucht haben, auf die Hauptstraße zurückzukehren. Wenn er es geschafft hätte, wäre sie ihm begegnet. Zweifellos lag er in einem der Canons, tot oder vom Kireseth betäubt oder vom Pferd gefallen und bewußtlos… Ihre beschworene Pflicht war es, da unten nach ihm zu suchen; das war das mindeste, was sie für ihn tun konnte. Sie ignorierte die Stimme der Vernunft, die ihr sagte, im Vergleich dazu sei die Suche nach einem einzigen Blatt in einem Wald aus Nußbäumen einfach. Im Weiterreiten gab sie sich verzweifelte Mühe, Aleki mit den Augen des Geistes zu entdecken.
Nein. Sie mußte zurück, auf die Hauptstraße. Wenn sie eins der kleinen Dörfer erreichte, konnte sie eine Suchmannschaft organisieren. Und wieder hörte sie Magda nach ihr rufen…
Nein. Das war der Wind, der sich erhob. Lange Wolkenfahnen erstreckten sich über den Himmel, die Bäume ächzten und peitschten die Luft mit ihren Zweigen, und einer schlug ihr ins Gesicht. Sie befand sich wieder auf einem der schmalen Pfade, die an der Canon-Wand nach oben führten. Warum? Aus welchem Grund hatte sie diesen Weg gewählt? Sie hatte nur noch den einen Gedanken im Kopf, Aleki sei irgendwo vor ihr, er habe sich statt für die hundert kleinen Schluchten auf der Talsohle für den Weg nach oben entschlossen, um einen Überblick zu gewinnen und festzustellen, wo er von der Straße abgekommen war. Intelligent. Doch wenn er intelligent genug gewesen wäre, hätte er diesen Ritt niemals allein angetreten, sondern auf sie als seine Führerin gewartet. Er wußte doch, daß sie bei ihrer Ehre geschworen hatte, für seine Sicherheit zu sorgen.
Aber er vertraute auch ihr nicht. Sie war Darkovanerin, und er blickte von der Höhe seiner Vorurteile auf sie als Eingeborene herab. Kein Wunder, daß er ohne sie aufgebrochen war. Jetzt, wo es zu spät war, verstand sie ihn. Sie gehörte zu den Leuten, die ihn an der Erfüllung dessen, was er als seine Pflicht ansah, gehindert hatten. Er wollte herausfinden, was diesem Andrew Carr widerfahren war und
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