Gildenhaus Thendara
eine Frau ihre Kräfte dazu sparen, ein oder zwei Kinder zu gebären, und braucht nicht ihr Leben damit zuzubringen, sie in die Welt zu setzen und sterben zu sehen”
Marisela nickte. „Allerdings müßte man sich vergewissern können, daß die beiden, die sie gebiert, die stärksten und besten sind. Doch nehmt einmal an, diese beiden sind die schwächsten, und deren Kinder werden noch schwächer sein. Zehn, zwanzig Generationen später sind wir dann ein Volk von Schwächlingen, am Leben erhalten nur durch komplizierte medizinische Techniken und folglich von eurer Technologie abhängig. Wenn einer Frau das Leben gerettet wird, obwohl ihr Becken zu eng ist, werden ihre Töchter weitere Kinder mit diesem Defekt bekommen, und wieder brauchen wir mehr und mehr medizinische Hilfe, damit sie das Wochenbett überstehen. Glaubt mir, es zerreißt mir das Herz, Frauen und Kinder sterben zu sehen. Aber wenn ein Neugeborenes zum Beispiel blau ist und nicht atmen kann, weil es ein Loch im Herzen hat…”
„Das kann repariert werden”, wehrte Cholayna ab. „Viele von unsern Leuten wären hier schon bei der Geburt gestorben, aber es geht ihnen gut!” „…und seine Kinder multiplizieren den Schaden”, fuhr Marisela fort. „Vielleicht sollten wir in Fällen, wo etwas im Mutterleib schiefgegangen ist und es deswegen Schwierigkeiten bei der Geburt gibt, das Kind retten, aber wenn es ein Defekt ist, der sich weitervererbt? Besser, es stirbt ein Mensch jetzt, als daß hundert Schwächlinge unserm Volk die Kraft nehmen. Und es ist wie eine Lotterie - die ersten beiden Kinder sind nicht immer die klügsten, die stärksten, die besten. So oft wird ein großer Führer oder ein Genie als
siebtes oder zehntes oder sogar zwanzigstes Kind seiner Eltern geboren” Cholayna erklärte steif: „Ich bedauere, mir gefällt es nicht, Gott zu spielen und zu entscheiden, daß Frauen auf diese Weise leiden müssen” „Heißt es nicht, Gott zu spielen, wenn man entscheidet, daß sie nicht leiden müssen?” gab Marisela zurück. „Wir hatten hier einmal ein Zuchtprogramm und spielten mit unseren Genen herum, weil wir perfekte Menschen und die perfekte Rasse schaffen wollten. Wir züchteten Laran in unser Volk hinein, und wir haben immer noch darunter zu leiden. Wenn die Göttin bestimmt, daß jemand bei der Geburt sterben muß, ist sie vielleicht grausam, um gütig zu sein”
„Trotzdem bin ich der Meinung, wir sollten das Geschenk der Terraner, unsern Frauen Unterricht in ihren Künsten zu geben, nicht zurückweisen”, sagte Mutter Lauria, und Marisela nickte.
„Oh, du hast ganz recht. Aber ich bete zu allen Göttern, daß wir die Weisheit haben werden, zu erkennen, wo wir Schluß machen müssen. Es ist keine gute Tat, Menschen das Leben zu retten, die jedem im Haushalt, jedem im Dorf, jedem auf der Welt eine Last sein werden. Ich - ich möchte nicht Gott spielen und entscheiden, wer leben darf und wer sterben muß. Deshalb überlasse ich es dem Erbarmen der Göttin. Wenn ich kleiner Mensch die Macht besitze, diesen zu retten und jenen zum Tod zu verurteilen, kann ich nur sagen, mein Beruf ist es, Leben zu retten, und deshalb werde ich alle retten, die ich retten kann. Der Weg führt ins Chaos. Es mag besser sein, diese Macht nicht zu besitzen”
„Ich kann nicht zustimmen, daß etwas, das die Kraft einer Frau schmälert, gut sein kann”, erklärte Cholayna, und Marisela seufzte.
„In der Theorie habt Ihr sicher recht. Aber manchmal ist es eine schreckliche Versuchung, nur die unmittelbare Zukunft zu sehen und das zu tun, was im Augenblick menschlich zu sein scheint, statt so zu handeln, wie es für die ganze Menschheit über die Jahrhunderte hin am besten ist” Jaelle fragte ärgerlich: „Willst du damit sagen, daß du Menschen sterben lassen würdest, die du möglicherweise am Leben erhalten könntest?” „Ich würde es nicht tun, ach”, antwortete Marisela, „und das ist vielleicht der Grund, warum ich diese Macht so fürchte. Ich hungere nach all dem terranischen Wissen, damit ich nie mehr eine Frau sich
zu Tode bluten oder ein Neugeborenes vergeblich nach Atem ringen sehen muß. Ich hasse es, den Kampf mit der Dunklen Dame zu verlieren, die in dieser Stunde neben jeder Frau steht und mit mir um sie ringt. Aber wie ich sagte, mein Beruf ist es, Leben zu retten, wo ich kann, und letzten Endes werde ich mich wohl daran halten, weiter Leben zu retten. Die Dunkle Dame ist eine sehr alte und freundliche Widersacherin, und sie kann
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