Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
1
Ich war von oben bis unten mit Blut bespritzt. Aber nicht mit meinem, also war's in Ordnung. Außerdem war es nur Tierblut. Wenn die schlimmste Bluttat dieser Nacht sechs Hühner und eine Ziege betraf, konnte ich damit leben und jeder andere auch. Ich hatte hintereinander sieben Tote erweckt. Das war selbst für mich ein Rekord.
Kurz vor der Dämmerung, der Himmel war noch dunkel und voller Sterne, bog ich in meine Einfahrt ein. Ich ließ den Jeep draußen stehen, war zu müde, um mich mit dem Garagentor zu befassen. Es war Mai, kam einem aber vor wie April. Der Frühling in St. Louis ist eine Zwei-Tage-Angelegenheit zwischen der Winterkälte und der Sommerhitze. Den einen Tag friert man sich den Arsch ab, und kurz darauf sind es dreißig Grad. Aber in diesem Jahr gab es einen richtigen Frühling, einen nassen, milden Frühling.
Von den vielen Zombies abgesehen war das eine Nacht wie jede andere. Vom Bürgerkriegssoldaten, den eine Historikervereinigung befragen will, über das Testament, dem die Unterschrift fehlt, bis zur letzten Konfrontation eines Sohnes mit seiner ehemals Missbrauch treibenden Mutter war mal wieder alles dabei gewesen. Und ich hatte die ganze Nacht in einem Pulk von Anwälten und Therapeuten herumgestanden. Wenn ich nur noch einmal jemanden fragen hörte: Wie fühlst du dich dabei, Jonathan (oder Cathy oder wer auch immer)?, würde ich anfangen zu schreien. Ich wollte nie wieder sehen, wie jemand »auf Gefühle eingeht«. Wenigstens kamen bei den meisten Anwälten die Hinterbliebenen nicht mit ans Grab. Der vom Gericht bestellte Anwalt vergewissert sich, ob der erweckte Tote genügend Wahrnehmungsfähigkeit hat, um zu wissen, was er unterschreibt, dann unterzeichnet er das Dokument als Zeuge. Wenn der Tote die Fragen nicht beantworten kann, gibt es keine rechtsgültige Unterschrift. Der Tote muss dafür »geistig gesund« sein. Ich hatte noch keinen erweckt, der diese Definition geistiger Gesundheit nicht erfüllte, aber offenbar kam es manchmal vor. Jamison, einer meiner Kollegen bei Animator's Inc., hatte es mal mit zwei Anwälten zu tun gehabt, die am offenen Grab deswegen aneinandergeraten sind. Lustig.
Es war so kühl, dass ich fröstelte, als ich auf meine Haustür zuging. Als ich gerade den Schlüssel ins Schloss fummelte, klingelte das Telefon. Ich stieß die Tür mit der Schulter auf, weil keiner kurz vor Morgengrauen anruft, wenn es nicht wichtig ist. Bei mir war das meistens die Polizei, und dann ging es um Mord. Ich trat die Tür wieder zu und lief zur Küche. Der Anrufbeantworter hatte sich bereits eingeschaltet. Meine Ansage lief aus, und Edwards Stimme war zu hören.
»Anita, hier Edward. Wenn du da bist, nimm ab.« Schweigen.
Ich rannte schneller und schlitterte auf hohen Absätzen zum Telefon, bumste gegen die Wand, ergriff den Hörer und hätte ihn fast wieder fallen lassen. Während ich ihn auffing und drehte, rief ich atemlos: »Edward, Edward, ich bin's! Ich bin zu Hause!«
Als ich ihn endlich am Ohr hatte, hörte ich ihn leise lachen. »Schön, dass ich auch mal amüsant bin. Was ist los?«, fragte ich.
»Ich fordere meinen Gefallen ein«, antwortete er ruhig.
Jetzt war ich es, die schwieg. Er war mir mal als Verstärkung zu Hilfe gekommen und hatte zusätzlich einen Freund mitgebracht, Harley. Das Ende der Geschichte war, dass ich Harley tötete. Na ja, er hatte versucht, mich umzubringen, und ich war schneller gewesen, aber Edward nahm das damals ziemlich persönlich. Eine heikle Sache. Edward ließ mir dann die Wahl: Entweder sollten er und ich gegeneinander antreten und ein für alle Mal herausfinden, wer der Bessere ist, oder ich wäre ihm einen Gefallen schuldig. Er würde mich dann eines Tages anrufen und mich als Verstärkung mitnehmen wie Harley damals. Ich hatte mich für die zweite Möglichkeit entschieden. Ich wollte niemals gegen Edward antreten müssen. Denn ich war ziemlich sicher, dass ich am Ende tot wäre.
Edward war ein Auftragsmörder. Spezialisiert auf Monster, Vampire, Gestaltwandler, was man sich nur denken kann. Es gab Leute wie mich, die das legal taten, aber Edward interessierte es nicht, ob etwas legal oder ethisch vertretbar war. Gelegentlich brachte er sogar Menschen um, allerdings nur, wenn sie in dem Ruf standen, gefährlich zu sein. Auftragsmörder, Kriminelle, bösartige Leute eben. Er verstand sein Handwerk und diskriminierte niemanden, Rasse, Religion, Geschlecht oder dergleichen
Weitere Kostenlose Bücher