GK195 - Totentanz im Hexenclub
morgen an… Vielleicht lernen Sie morgen einen Mann kennen, der Ihnen viel mehr zu bieten hat als der andere. Sterben ist keine Lösung, Mädchen. Nach der Themse kommt nichts mehr. Wenn Sie aber vernünftig sind und mir ein wenig helfen, Sie über dieses Geländer zu heben, kriegen Sie vom Leben eine neue Chance… Wir haben alle mal unser Tief. Aber davon dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen. Wir müssen dagegen ankämpfen, um so größer ist später unsere Freude darüber, daß wir nicht resigniert haben. Kommen Sie zurück…«
»Ich kann nicht mehr zurück! Ich muß gehorchen! Ich muß mir das Leben nehmen! Es ist ein Befehl!«
O Heiland, dachte Clyde Moping. Eine Verrückte! Sie spinnt! Man sieht es ihr nicht an, aber sie ist nicht richtig im Kopf.
Angela North bäumte sich zornig in seiner Umklammerung auf. Sie stemmte sich wild gegen das Geländer. Mopings Hände glitten von ihr ab. Sein Herz krampfte sich zusammen, als sie nach vorn kippte. Zum Glück reagierte er schnell genug, um Angelas Sprung zu verhindern. Seine Finger umschlossen ihren linken Arm. Kraftvoll riß er sie zurück. Das Mädchen stieß einen gereizten Fluch aus. Sie schnellte herum und schlug mit der rechten Hand nach seinem Gesicht. Der Schlag brannte wie Feuer.
Moping ließ trotzdem nicht los.
Da schoß Angelas Hand erneut vor. Diesmal riß sie ihm mit ihren scharfen, krallenartigen Fingernägeln die Wange auf. Warmes Blut quoll aus den tiefen Wunden. Der Schmerz war so heftig, daß Clyde Moping einen heiseren Schrei ausstieß und reflexartig nach der Wange griff. Mit einem blitzschnellen Ruck kam das Mädchen daraufhin frei.
Und jetzt konnte Clyde Moping nicht mehr verhindern, daß sie sprang. Mit stillstehendem Herzen beugte er sich über das Geländer. Der junge Mädchenkörper fiel wie ein Stein in die Tiefe. Klatschend tauchte Angela in die schwarzen Fluten ein.
Moping wollte sofort nachspringen. Er war schon über dem Geländer, doch dann hielt er inne. Bei dem trüben Themsewasser wären Rettungsversuche von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Angela tauchte kein einzigesmal mehr auf.
Sie blieb in ihrem nassen Grab…
***
Der Tag brach allmählich an.
Clyde Moping saß in sich zusammengesunken auf dem Besucherstuhl. Der Polizeiarzt hatte sich um seine Kratzwunden gekümmert. Ein dicker weißer Gazestreifen klebte an seiner linken Wange. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Das Office in der Polizeistation war klein und zweckmäßig eingerichtet. Wenn man zum Fenster hinaussah, schaute man auf eine öde, graue Hausmauer.
Als sich Inspektor Larry French erhob, blickte Moping zu ihm auf. French war ein großer, glatzköpfiger Mann, dessen gewaltiger Bauch von einem noch gewaltigeren Leibriemen zusammengehalten wurde. Er rauchte eine dicke Zigarre und trug einen kleinen Silberring am Mittelfinger. Eine Rolex glänzte an seinem Handgelenk. Sein Hemd wies unter den Achseln Schweißflecken auf.
Moping fand, daß dieser Mann absolut nichts von einem typisch englischen Polizeibeamten an sich hatte. »Möchten Sie eine Zigarre rauchen?« fragte French mit einer tiefen Baßstimme.
»Mir wird schlecht von Zigarfen.«
French hob die Schultern. »Ihr Tee muß jeden Moment kommen.«
Eine Beamtin brachte den Tee. Moping goß ihn aus der Kanne in die Tasse und trank dann mit kleinen Schlucken. »Ich war noch nie im Leben in einer solchen Situation«, sagte er verlegen.
»Sie haben sich vollkommen richtig verhalten«, erwiderte Inspektor French.
Richtig verhalten. Ja, das konnte man sagen. Moping hatte unverzüglich die Polizei verständigt. Die Wasserpolizei hatte sich sogleich auf den Weg gemacht, um die junge Selbstmörderin zu suchen. Einen Kilometer themseabwärts hatte man Angela North aus dem Wasser gezogen.
Seit einer halben Stunde saß Moping nun schon hier in diesem kleinen Raum, in dem man das Gefühl bekam, die Decke könnte einem auf den Kopf fallen. Seit einer halben Stunde stellte der Inspektor seine Fragen, die Clyde Moping jedoch größtenteils nicht beantworten konnte.
»Ich weiß nicht, woher sie kam und wie sie hieß«, seufzte der junge Mann, während er Zucker nachgab und mit dem kleinen Löffel umrührte. »Ich kann Ihnen auch nicht sagen, warum sie es getan hat. Wie gesagt, ich war auf dem Heimweg…«
»Besitzen Sie keinen Wagen?«
»Doch. Aber wenn ich zu einer Party gehe, lasse ich prinzipiell mein Fahrzeug zu Hause. Schließlich will ich nicht die ganze Nacht auf dem trockenen
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