GK398 - Gefangen in der Spiegelwelt
vervielfachte das Gute in mir und setzte es in geballte weißmagische Kraft um.
Mit derselben Intensität verstärkte das Kleinod auch alles, was sich in Mr. Silver befand.
Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn der Ring einem Dämon in die Hände gefallen wäre, denn dieses Schmuckstück, das zugleich eine Waffe war, machte keinen Unterschied, was es verstärkte. Das war sein einziger Nachteil. Gut oder Böse - beides wäre von meinem Ring auf dieselbe Weise unterstützt worden.
Langsam zog ich den goldenen Reifen ab.
Meine Gedanken schweiften kurz ab, glitten in die Vergangenheit. Ich sah, wie alles begonnen hatte.
Damals war ich Polizeinspektor in einem kleinen englischen Dorf gewesen. Alle hundert Jahre war dieses Dorf von sieben grausamen Hexen heimgesucht worden. Einer meiner Ahnen, der Henker Anthony Ballard, hatte die Weiber am Galgenbaum aufgeknüpft, und sie hatten ihm und dem Dorf furchtbare Rache geschworen. [2]
Sie hatten Wort gehalten. Bis ich mich ihnen entgegengestellt hatte. Unter dem Galgenbaum hatte es eine Höhle gegeben. Dort hatte sich der weiß leuchtende Lebensstein der Hexen befunden. Es hatte geheißen, daß man die Satansbräute nur vernichten konnte, wenn man den leuchtenden Stein mit Menschenblut löschte. Das hatte ich getan.
Die Hexen hatten mich wütend und verbissen abzuwehren versucht, aber ich hatte mich bis zu ihrem Stein vorgekämpft. Ein Schnitt mit dem Messer. Die Narbe in meiner linken Hand ist heute noch zu sehen. Mein Blut floß auf den Stein. Das Leuchten erlosch. Die Hexen starben. Der weiße Stein wurde schwarz. Ich brach ein Stück davon ab und ließ es in Gold fassen. Eigentlich geschah dies nur zur Erinnerung. Doch bald darauf stellte sich heraus, daß sich große magische Kräfte in dem Stein befanden, und seither hatte mir mein Ring schon viele wertvolle Dienste geleistet und mir mehr als einmal das Leben gerettet. Ohne ihn hätte ich kaum jemals soviel Erfolg im Kampf gegen das Böse gehabt…
Ich reichte Mr. Silver den Ring.
»Scheint so, als bliebe es uns nicht erspart, uns in die Spiegelwelt zu begeben«, sagte ich.
»Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit, Gerrick und Frank zu retten«, sagte Mr. Silver. »Mit Unterstützung deines magischen Ringes könnte es gelingen…«
»Was?« wollte ich wissen.
»Die Zeit zurückzudrehen«, sagte der Ex-Dämon.
»Glaubst du, daß du dazu imstande bist?«
Mr. Silver war bekannt dafür, daß er in Streßsituationen weit über sich hinauszuwachsen vermochte. Wenn mein Ring diese Fähigkeiten mit ganzer Kraft unterstützte, konnte der Ex-Dämon es vielleicht schaffen. Aber dazu würde Mr. Silver alles aufbieten müssen, was in ihm steckte, und er mußte Glück haben, denn wenn er gerade jetzt eine Schwächephase hatte, die ihn leider immer wieder mal heimsuchte, würde er kläglich Schiffbruch erleiden.
Was danach kam, wußten nur die Götter…
Der Hüne streifte meinen Ring über den Finger.
Mein Blick fiel auf die beiden Monster. Sie erstarkten langsam. Sie setzten ihre Höllenkräfte gegen das Silbernetz ein, das sie umschloß. Hier und dort zersprang eine Masche. Das Netz war in Auflösung begriffen. Ich zog meinen Colt Diamondback, um gewappnet zu sein, falls die Bestien vorzeitig freikamen.
Mr. Silver konzentrierte sich.
Ein silbriges Schimmern überzog seine Stirn. Er wühlte sich zu seinen größtenteils verschütteten Fähigkeiten hinunter. Als er noch auf der Seite der Dämonen gestanden hatte, hatte er sich dieser Fähigkeiten nach Belieben bedienen können. Seit er sie aber auf der Seite des Guten einsetzte, klappte das nicht immer so recht. Manchmal verlangte es ihm mehr Anstrengung ab, als er zu geben imstande war.
Um ihn herum flirrte die Luft.
Er hüllte sich in einen weißmagischen Strahlenmantel.
Ich hatte mit einemmal das Gefühl, die Zeit würde stehenbleiben.
Für den Ex-Dämon blieb sie jedoch nicht bloß stehen. Er schaffte es mit seiner übernatürlichen Willenskraft, die von meinem magischen Ring um ein Vielfaches verstärkt wurde, das Rad der Zeit zurückzudrehen.
Es war ihm anzusehen, wie sehr ihn das anstrengte. Sein Gesicht verzerrte sich. Er stemmte sich gegen unvorstellbare Gewalten, die ihn zermalmen würden, wenn er nicht genug Kraft aufbrachte, um ihnen seinen Willen zu diktieren.
Es gelang ihm, sich bis zu jenem Augenblick vorzukämpfen, in dem der verhängnisvolle Tauschprozeß stattgefunden hatte. Er zitterte. Er stöhnte. Die Situation war kritisch.
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