GK439 - Der Mahdi des Satans
Tarso, der Tuareg, war ein Auserwählter der Hölle. Die Macht des Bösen hatte ihn in die Welt gesetzt, um sich seiner eines Tages zu bedienen. Der Ruf ereilte ihn in jener unheilschwangeren Nacht, und er folgte ihm sogleich. Doch nicht nur ihn erreichte der Ruf des Bösen. Auch andere Auserwählte wurden in jener Nacht aktiviert. Über weite Strecken rasten die schwarzen Befehle, denen die Auserwählten zu gehorchen hatten.
Tarso war nur einer davon.
Er wohnte in In Salah, einem kleinen algerischen Ort mit 5500 Einwohnern, der ständig vom Wüstensand bedroht wird.
Vor einer halben Stunde hatte er sich mit seiner Frau Bara zu Bett begeben. Sie war näher an ihn herangerückt und hatte ihre Arme um ihn geschlungen. Er wußte, was sie von ihm wollte, aber er verspürte nicht die geringste Lust dazu, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen.
»Laß mich in Ruhe«, sagte er abweisend.
»Ich bin deine Frau, Tarso.«
»Ja, und du hast zu gehorchen. Nimm deine Hände von mir.«
Enttäuscht und beleidigt zog Bara sich zurück. »Wir sind erst seit zwei Jahren verheiratet, und du liebst mich schon nicht mehr. Ich fürchte mich vor dem Leben, das ich an deiner Seite werde führen müssen. Ungeliebt, beleidigt, gedemütigt.«
»Nichts hält ewig«, sagte Tarso ungerührt. »Am allerwenigsten die Liebe, wußtest du das nicht?«
»Aber zwei Jahre, Tarso…«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich kann es nicht ändern. Schlaf jetzt.«
Er hörte, wie sich Bara auf die andere Seite drehte und leise weinte.
Es machte ihm nichts aus. Sein Herz war versteinert. Liebe hatte darin keinen Platz. Nur Haß, Bosheit und Gemeinheit. Er schob die Hände unter seinen Kopf und blickte zum Fenster. Groß, mit klaren, scharfen Konturen, stand der Mond am pechschwarzen Himmel.
Tarso hatte plötzlich den Wunsch, hinauszugehen.
Es war der Ruf, der ihn aus dem Haus lockte.
Ohne ein Wort zu sagen, verließ er das Bett. Bara weinte weiter.
Tarso zog sich an und trat wenig später aus dem Haus. Zielstrebig ging er durch das nächtliche In Salah. Der Ort bestand aus mehreren Zonen. Der Zone der Foggara - der Brunnen und Kanäle -, der Siedlungszone, deren Straßen in Ost-Westrichtung angelegt sind, damit der Ostpassat den Wüstensand hindurchtragen kann, der Dünenzone - hier lagert der Wind den Sand ab -, der Agrarzone und der Sebkhenzone, in der sich die Salzpfannen befinden.
Unter Dattelpalmen schritt Tarso, der Tuareg, nach Osten. Seit er denken konnte, wußte er, daß er für etwas Besonderes bestimmt war. All die Jahre hatte er gewartet, ohne zu ahnen, worauf. In dieser Nacht wurde ihm klar, daß das Warten ein Ende hatte. Seine Bestimmung sollte sich endlich erfüllen. Sein Leben sollte endlich einen Sinn bekommen. Ein unbändiger Tatendurst brannte mit einemmal in Tarso. Der Zeitpunkt war nahe, wo er grausame Schreckenstaten im Auftrag der Hölle setzen durfte.
Er ließ In Salah hinter sich, ging durch sanfte Dünentäler. Unter seinen Füßen knirschte der kalte Wüstensand. Etwas Totes, das sich nach allen Richtungen hin ausdehnte und pflanzliches Leben unter sich erstickte. Noch nie hatte sich der Tuareg der Wüste so zugetan gefühlt wie in dieser Nacht. Sie war geschaffen, um zu vernichten.
Genau wie er.
Von In Salah war bald nichts mehr zu sehen. Tarso beendete seinen Fußmarsch, blieb stehen und wartete.
Da!
War das nicht das dumpfe Trommeln von Kamelhufen? Gespannt straffte der große Tuareg seinen Rücken. Seine Lippen bebten vor Erregung. Er wußte plötzlich, wer da kam.
Man nannte ihn den Mahdi - den Erwarteten.
Tarso und all die anderen Auserwählten der Hölle erwarteten diesen Mann des Schreckens, der sie führen sollte und dem sie bedingungslos gehorchen würden, denn sie gehörten zu ihm, von Geburt an. Ihr bisheriges Leben war eigentlich sinnlos gewesen. Es hatte zu ihrer Tarnung gedient. Zur Täuschung ihrer Mitmenschen, denen sie nun in den Rücken fallen konnten.
Das Stampfen der Hufe kam rasch näher.
Ein verklärter Ausdruck legte sich über Tarsos Gesicht.
Augenblicke später spie die Nacht den Mahdi des Satans aus. Er saß auf einem großen skelettierten Kamel. Das Zaumzeug trug Symbole des Bösen. Der hochgewachsene Reiter war in einen weiten Burnus gehüllt. Ein schwarzer Litham - ein Gesichtsschleier - war um seinen Totenschädel und die untere Gesichtshälfte geschlungen. Ein glühendes Augenpaar starrte Tarso an, und das Krummschwert, das der Mahdi des Satans in seiner Faust hielt, glühte
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