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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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|10| 1.
    Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind ist die stärkste Kraft im Universum. Ich weiß nicht mehr, wo ich diesen Spruch gelesen habe, aber er stimmt. Doch wie jede Kraft kann auch diese heilen – oder zerstören.
    Ich bin New Yorkerin, geboren und aufgewachsen in Brooklyn. Ich habe meine Lektionen im Leben gelernt und bin nicht gerade zart besaitet. Von esoterischem Hokuspokus habe ich nie etwas gehalten, und gebetet habe ich das letzte Mal mit fünfzehn. Doch wenn deinem eigenen Kind etwas zustößt, dann kann es passieren, dass dein ganzes Weltbild einstürzt wie ein Wolkenkratzer nach einem Terrorangriff.
    Das ändert alles.
    Es war ein Dienstag. Ich hatte um neun einen Termin bei einer Werbeagentur in der Madison Avenue und war spät dran. Ich klopfte laut gegen seine Tür. »Eric? Eric, du kannst nicht schon wieder zu spät zur Schule kommen!«
    Ich wartete ein paar Sekunden, bevor ich sein Zimmer betrat – pubertierende Jungs sind ein bisschen empfindlich, was ihre Intimsphäre angeht. In der Tür blieb ich stehen.
    Sein Kopf mit den nicht zu bändigenden blonden Locken lag auf der Tischplatte. Ein Arm hing schlaff herab, die Hand des anderen umfasste noch die Maus. Nur das trübe Licht des Bildschirms erhellte den Raum.
    Ich seufzte. Diese verdammten Onlinespiele! Wenn Eric so weitermachte, würde er den Highschool-Abschluss niemals schaffen. Ich hatte schon alles versucht – |11| reden, schimpfen, drohen, locken. Vergeblich. Jede freie Sekunde hockte er vor dem Computer und jagte irgendwelchen Monstern nach.
    Ich hatte nie verstanden, was ihn daran so faszinierte. Es musste etwas typisch Männliches sein – der Urinstinkt, auf die Jagd zu gehen, sich als Mann zu beweisen vielleicht. Dabei war es doch so armselig: Die Gefahren bestanden nur aus bunten Pixeln, und um ihrer Herr zu werden, brauchte man nicht mehr als ein paar Mausklicks.
    Ich hatte irgendwo gelesen, dass mindestens fünf Prozent der männlichen Jugendlichen computerspielsüchtig waren – im Schnitt einer in jeder Highschool-Klasse. Trotzdem hatte ich immer gehofft, Eric würde die Lust daran von selbst verlieren. Irgendwann, so redete ich mir ein, würde er ein Mädchen kennenlernen, das ihn auf andere Gedanken brachte. Immerhin war er jetzt fast fünfzehn. Doch wie sollte er sich je verlieben, wenn er nur vor seinem Laptop saß und außerhalb der Schulzeit nie einen Fuß vor die Tür setzte? Es war wohl höchste Zeit, einen Psychologen zu konsultieren.
    »Eric!« Ich rüttelte an seiner Schulter. »Eric, wach auf! Es ist gleich halb acht!«
    Er reagierte nicht.
    Das war der Moment, als die Angst aus den tiefen Höhlen meines Bauches bis in meine Kehle aufstieg. Ich spürte meinen Herzschlag im Mund.
    »Eric!« Ich rüttelte ihn erneut, ohne jede Reaktion. Ich fasste ihn an den Schultern und zog ihn zurück. Sein Kopf fiel in den Nacken, der Mund klappte auf. Seine Augen waren weit geöffnet. Das Licht der virtuellen Welt spiegelte sich auf ihrer glasigen Oberfläche.
    Mir blieb das Herz stehen. »Eric! O Gott, Eric!«
    Ich hatte gehört, dass bereits Computerspieler an Erschöpfung |12| gestorben waren. Doch er konnte nicht tot sein! Nicht Eric! Nicht mein Sohn!
    Meine Fingerspitzen berührten seine Halsschlagader. Fühlte ich dort tatsächlich einen schwachen Puls? Ich legte mein Ohr an seinen Mund und spürte einen leichten, regelmäßigen Hauch. Er lebte!
    Erleichterung durchflutete mich und wurde gleich darauf von tiefer Sorge verdrängt. Ich rüttelte ihn erneut, gab ihm sogar Ohrfeigen, spritzte Wasser in sein Gesicht, bewirkte jedoch nicht die geringste Reaktion.
    Schließlich rannte ich in die Küche, nahm das Telefon von der Station, lief zurück in sein Zimmer und wählte 911. Während ich Name und Adresse nannte und die Situation zu beschreiben versuchte, fiel mein Blick auf den Bildschirm des Laptops. Er zeigte eine von dornigen Sträuchern bewachsene Wildnis aus der Vogelperspektive. In der Mitte lag ein lebloser Körper in der glänzenden Bronzerüstung eines antiken Helden. Schwarze Vögel saßen auf der Leiche und pickten daran. Darunter hatte sich ein Eingabefenster mit drei Schaltflächen geöffnet: »Spiel stand laden«, »Neustart« und »Beenden«.
    Ekel erfüllte mich. Die Designer des Spiels, das Eric seit Monaten in seinen Bann zog – »Realm of Hades« hieß es, soweit ich mich erinnerte –, hatten es mit dem Realismus eindeutig übertrieben. Angewidert klappte ich den Laptop zu, griff den schlaffen

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