Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
nach Amerika gehen und in der Einsamkeit leben; ich habe alle Voraussetzungen, die den Wilden ausmachen ... Das sind die Gedanken, in denen ich diese Nacht hingebracht habe. Ihr Sekretär wird Ihnen ein Wort hinterbracht haben, das ich ihn Ihnen zu sagen bat... Als ich erkannte, welche Vorsichtsmaßregeln Sie trafen, um Luciens Andenken vor jeder Schmach zu bewahren, habe ich Ihnen mein Leben geschenkt, eine armselige Gabe! Mir lag nichts mehr daran; ich sah, daß es unmöglich war ohne das Licht, das es beleuchtete, ohne das Glück, das es belebte, ohne den Gedanken, der sein Sinn war, und ohne das Gedeihen dieses jungen Dichters, der seine Sonne war; und ich wollte Ihnen diese drei Briefpakete überreichen lassen ...« Herr von Granville neigte den Kopf. »Als ich auf den Hof hinunterkam, habe ich die Schuldigen des Verbrechens zu Nanterre gefunden, und meinen Kettengenossen fand ich unter dem Fallbeil, weil er unfreiwillig teilgenommen hatte an diesem Verbrechen,« fuhr Jakob Collin fort. »Ich habe erfahren, daß Bibi-Lupin die Justiz täuscht, daß der eine seiner Agenten der Mörder der Crottats ist; war das nicht, wie Sie es ausdrücken, das Wirken der Vorsehung? ... Da sah ich die Möglichkeit, Gutes zu tun, die Fähigkeiten, mit denen ich begabt bin, die traurigen Kenntnisse, die ich erworben habe, im Dienst der Gesellschaft zu verwenden, nützlich zu sein statt schädlich, und ich wagte es, auf Ihr Verständnis, auf Ihre Güte zu zählen.«
Der Ton der Offenheit, der Naivität und der Einfalt dieses Menschen, der ohne Bitterkeit beichtete, ohne jene Philosophie des Lasters, die seine Worte bis dahin so furchtbar gemacht hatte, konnte den Glauben an eine Verwandlung erwecken. Er war nicht mehr der alte.
»Ich glaube so sehr an Sie, daß ich Ihnen ganz zur Verfügung stehen will,« fuhr er mit der Demut eines Büßenden fort. »Sie sehen mich zwischen drei Wegen: dem Selbstmord, Amerika und der Straße nach Jerusalem. Bibi-Lupin ist reich, er hat seine Zeit gedient; er ist ein Beamter mit doppeltem Gesicht, und wenn Sie erlauben wollten, daß ich gegen ihn wirke, so würde ich ihn innerhalb von acht Tagen auf frischer Tat ertappen. Wenn Sie mir die Stellung dieses Halunken geben, so werden Sie der Gesellschaft den größten Dienst geleistet haben. Ich brauche nichts mehr – ich werde ehrlich sein. Ich habe alle Eigenschaften, die für dieses Amt nötig sind. Ich habe mehr als Bibi-Lupin, nämlich Bildung; man hat mich die Schule durchmachen lassen, ich werde nicht so dumm sein wie er, ich kann mich benehmen, wenn ich will. Ich habe keinen andern Ehrgeiz, als ein Element der Ordnung und der Unterdrückung der Verderbnis, anstatt diese selbst zu sein. Ich werde niemanden mehr für das große Heer des Lasters anwerben. Wenn man im Krieg einen feindlichen General gefangen nimmt, sehen Sie, Herr Graf, dann erschießt man ihn nicht; man gibt ihm sein Schwert zurück und weist ihm eine Stadt als Gefängnis an; nun, ich bin der General des Bagnos, und ich ergebe mich... Nicht die Justiz, der Tod hat mich niedergeworfen ... Die Sphäre, in der ich handeln und leben will, ist die einzige, die mir zusagt, und ich werde in ihr die Kraft entfalten, die ich in mir fühle ... Entscheiden Sie ...« Und Jakob Collin blieb in unterwürfiger und bescheidener Haltung stehen. »Sie haben mir diese Briefe zur Verfügung gestellt?« fragte der Oberstaatsanwalt. »Sie können sie holen lassen, sie werden der Person, die Sie schicken wollen, ausgehändigt werden...« »Und wie?« Jakob Collin las im Herzen des Oberstaatsanwalts und setzte dasselbe Spiel fort. »Sie haben mir versprochen, daß die Todesstrafe für Calvi in zwanzig Jahre Zwangsarbeit verwandelt wird. Oh, ich erinnere Sie nicht daran, um einen Vertrag zu schließen,« sagte er schnell, als er sah, daß der Oberstaatsanwalt eine Geste machte; »aber dieses Leben muß aus andern Gründen gerettet werden, dieser Bursche ist unschuldig ...« »Wie kann ich die Briefe bekommen?« fragte der Oberstaatsanwalt. »Ich habe das Recht und die Pflicht, zu erproben, ob Sie der sind, für den Sie sich ausgeben. Ich will sie ohne Bedingungen ...« »Schicken Sie einen Vertrauensmann auf den Blumenkai; er wird auf der Schwelle zum Laden eines Eisenhändlers, des Ladens ›Zum Schild des Achilles ‹ ...« »Zum Haus des ›Schildes‹? ...« »Eben dort«, sagte Jakob Collin mit bitterm Lächeln, »liegt mein Schild. Ihr Bote wird dort ein altes Weib finden; sie ist, wie ich Ihnen
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