Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
auskennen!« sagte Jakobine. »Nun, der Haß erhält am Leben! Ans Werk!«
Jakob Collin nahm einen Fiaker und fuhr auf der Stelle nach dem Quai Malaquais, zu dem kleinen Zimmer, das er bewohnte und das mit Luciens Wohnung nicht zusammenhing. Der Pförtner, der sehr erstaunt war, ihn zu sehen, wollte ihm von den Ereignissen reden, die sich vollzogen hatten. »Ich weiß alles,« erwiderte der Abbé. »Ich bin trotz meines geistlichen Standes bloßgestellt worden; aber dank der Vermittlung der spanischen Gesandtschaft bin ich in Freiheit gesetzt worden.«
Und er stieg schnell in sein Zimmer hinauf, wo er aus dem Einband eines Breviers den Brief hervorzog, den Lucien an Frau von Sérizy geschrieben hatte, als er bei Frau von Sérizy ln Ungnade gefallen war, weil sie ihn in der Italienischen Oper bei Esther gesehen hatte.
In seiner Verzweiflung hatte Lucien diesen Brief nicht abgeschickt, denn er hielt sich für auf immer verloren. Aber Jakob Collin hatte dieses Meisterwerk gelesen, und da ihm alles, was Lucien schrieb, heilig war, so hatte er den Brief wegen des poetischen Ausdrucks dieser Liebe aus Eitelkeit in sein Brevier gelegt. Als Herr von Granville ihm dann von dem Zustand sprach, in dem Frau von Sérizy sich befand, hatte dieser tiefgründige Mensch sich mit Recht gesagt, daß die Verzweiflung und der Wahnsinn dieser großen Dame die Folge des Zerwürfnisses wären, das sie zwischen sich und Lucien hatte bestehen lassen. Er kannte die Frauen, wie die Richter die Verbrecher kennen; er erriet die geheimsten Regungen ihrer Herzen, und er sagte sich auf der Stelle, daß die Gräfin Luciens Tod zum Teil ihrer eigenen Strenge zuschrieb und sich bittere Vorwürfe machte. Offenbar hätte ein Mann, meinte sie, den sie mit Liebe überschüttete, das Leben nicht verlassen. Wenn sie erfuhr, daß sie trotz ihrer Strenge immer noch geliebt wurde, so konnte ihr das die Vernunft zurückgeben.
Wenn Jakob Collin für die Sträflinge ein großer General war, so muß man zugeben, daß er nicht minder ein großer Arzt der Seelen war. Es bedeutete zugleich eine Schmach und eine Hoffnung, als dieser Mensch in die Räume des Hotels Serizy trat. Mehrere Personen, der Graf und die Ärzte, saßen in dem kleinen Salon, der vor dem Schlafzimmer der Gräfin lag; um aber der Ehre seines Freundes jeden Makel zu ersparen, schickte der Graf von Bauvan jedermann davon, so daß er mit seinem Freund allein blieb. Es war schon ein empfindlicher Schlag für den Vizepräsidenten des Staatsrates, für ein Mitglied des Geheimen Rates, als er diese düstere und unheimliche Persönlichkeit eintreten sah.
Jakob Collin hatte die Kleider gewechselt, er trug Hose und Rock aus schwarzem Tuch, und sein Schritt, seine Blicke, seine Gesten, alles zeigte vollendeten Anstand. Er grüßte die beiden Staatsmänner und fragte, ob er in das Schlafzimmer eintreten dürfte.
»Sie werden voll Ungeduld erwartet,« sagte Herr von Bauvan. »Mit Ungeduld?... Dann ist sie gerettet,« sagte der furchtbare Beschwörer.
In der Tat öffnete Jakob Collin nach einer halbstündigen Besprechung die Tür und sagte: »Kommen Sie, Herr Graf, Sie haben keinen schlimmen Ausgang mehr zu befürchten.« Die Gräfin hielt den Brief auf ihrem Herzen; sie war ruhig und schien mit sich selbst versöhnt zu sein. Bei diesem Anblick entfuhr dem Grafen eine Geste der Zufriedenheit.
›Das sind nun die, die über unsere Geschicke und die des Volkes entscheiden!‹ dachte Jakob Collin, der die Achseln zuckte, als die beiden Freunde eingetreten waren. ›Der unwillige Seufzer eines Weibchens kehrt ihnen die Seele um wie einen Handschuh! Durch einen Blick verlieren sie den Kopf! Ein Kleiderrock wird ein wenig höher oder niedriger gehalten, und sie laufen in Verzweiflung durch ganz Paris. Die Launen einer Frau wirken auf den ganzen Staat! Oh, wieviel Kraft gewinnt der Mann, wenn er sich, wie ich, dieser Kindertyrannei, dieser von der Leidenschaft umgestürzten Redlichkeit, diesen aufrichtigen Bosheiten, diesen Listen einer Wilden entzogen hat. Die Frau ist und bleibt mit ihrem Henkergenie und ihren Foltertalenten das Verderben des Mannes. Oberstaatsanwalt und Minister, da werden sie alle blind und verdrehen alles, um der Briefe einer Herzogin oder eines kleinen Mädchens oder um der Vernunft einer Frau willen, die mit ihrem Verstand nur noch wahnsinniger sein wird, als sie es ohne ihn war.‹ Er begann hochmütig zu lächeln. ›Und‹, sagte er sich, ›sie werden meinen Enthüllungen gehorchen
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