Glenraven
das Auto genommen zu haben. Sie hätte schon längst bei einer schönen Tasse heißen Tees zu Hause sein, ein paar Holzstücke in den Kamin werfen und es sich mit den Druckfahnen und einem Bleistift in der Hand im Sessel gemütlich machen können…
Aber vielleicht war Steven auch dort. Lee könnte bei ihm sein. Jayjay hatte keine Lust, den Kampf wieder aufzunehmen.
Sie lehnte sich gegen die feuchte Ziegelmauer von Hair-Fantastic und wünschte den Regen weg. Es war zwecklos. Jayjay schloß die Augen und versuchte sich vorzustellen, was sie als nächstes machen würde.
KAPITEL ZWEI
Sophie Cortiss betrachtete den Regen vor ihrem Fenster. Zu ihren Füßen erstreckten sich mit Pinien bewachsene Hügel. Hier und da wurde das Dunkelgrün von einigen Sträuchern, Eichen und weit ausladenden Pfirsichbäumen aufgehellt, deren Äste sich unter der Last der ersten Früchte zu beugen begannen. Die auffallend farbigen Blüten der Nelken in ihrem Vorgarten ließen bei diesem Wetter verdrießlich die Köpfe hängen. Die beiden neuen Pferde hatten in ihrem Unterstand auf der etwas weiter entfernten Weide Unterschlupf gesucht. Für Sophie waren sie ein Symbol für alles, was sie verloren hatte und niemals zurückbekommen konnte.
Die Katzen hatten sich auf der Fensterbank zusammengerollt und miauten jämmerlich. Ein eindeutiges Zeichen dafür, daß sie lieber im Haus sein wollten. Der Sturm war nicht der einzige Grund für Sophies düstere Stimmung. Das Ende des Tages war nicht mehr weit… und eine noch größere Leere würde folgen.
Der Regen hatte mittlerweile den Rinnstein derart überflutet, daß das Wasser sich in Bächen über die Wurzeln der Pflanzen ergoß. Eigentlich hätte Sophie sich schon letzten Herbst um die Lilien kümmern müssen. Sie hatten sich schnell vermehrt und standen nun zu eng beieinander. Es war ihr egal. In den letzten beiden Jahren war ihr so vieles egal geworden.
Ich muß irgendwas tun.
Irgendwas. Irgendwas… anderes.
Sie hörte das Telefon im Flur klingeln. Mitch ist zu Hause, dachte sie trübsinnig. Er kann rangehen.
Sophie hörte, wie er nach dem dritten Klingeln abnahm.
»Hallo? O… Hi. Ja, sie ist da.« Sophie wünschte, er hätte gelogen, hätte, wem auch immer, erklärt, sie sei bei den Pferden oder einkaufen. Vielleicht konnte sie sich noch hinausstehlen, bevor er sie fand.
Aber als Mitch durchs Haus rief, »Sophie, es ist für dich«, verließ sie ihr Zimmer und ging ans Telefon.
Er lächelte und nahm sie kurz in den Arm, während er die andere Hand über den Hörer hielt. »Es ist Jayjay.«
Sophie rümpfte die Nase. Der Gedanke an die muntere und lebhafte Jayjay ließ in ihr den Wunsch aufkommen, ins Bett zu gehen und sich eine Woche darin zu verkriechen. Seit der siebten Klasse waren sie die besten Freundinnen, aber nach Karens Tod hatten sie sich auseinandergelebt. Wie um ihre Blumen, so hatte Sophie sich auch nicht mehr um ihre Freundinnen gekümmert.
Mit einem Seufzen nahm sie den Hörer und lehnte sich gegen die Wand. »Jayjay, was gibt’s?«
»Soph.« Jayjay hörte sich gar nicht wie sie selbst an. Ihre Stimme klang nicht im entferntesten lebhaft… ganz im Gegenteil. Sie klang derart düster, daß Sophie kaum glauben konnte, wirklich mit ihrer Freundin zu sprechen. »Könntest du mir einen Gefallen tun?«
Sophie blickte zu Mitch. Er stand in der Küchentür und wartete mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sicher. Welchen?«
»Kannst du mich abholen? Ich stehe vor Hair-Fantastic… auf der McDuffie Street, kurz hinter dem Gericht… «
»Ich weiß, wo das ist«, sagte Sophie stirnrunzelnd. Warum zum Teufel brauchte Jayjay jemanden, der sie chauffierte? »Ist alles in Ordnung?« Sie war darauf bedacht, nicht zu viel zu sagen, um Mitch nichts zu verraten, was Jayjay vielleicht lieber für sich behalten hätte.
»Ich weiß nicht… hmmm… ich möchte eigentlich auch nicht darüber sprechen… jedenfalls nicht jetzt. Okay?« Sophie war sich sicher, ein Beben in Jayjays Stimme gehört zu haben. War es möglich, daß sie weinte?
»Ich bin sofort da.« Sophie legte den Hörer auf. Verwirrt blickte sie zu Mitch. »Irgend etwas stimmt nicht bei Jayjay«, sagte sie.
»Ihr habt nicht sehr lange gesprochen.«
»Nein. Ich glaube, ihr Wagen hat eine Panne. Sie bat mich, sie aufzugabeln.«
Er lächelte. »Ich bezweifele zwar, daß ich viel für ihren Wagen tun kann, aber ich komme mit dir… « Er konnte den Satz nicht zu Ende führen. Sophie war bereits auf dem Weg zur
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