Die Geier
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HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY
Band 06/4462
Titel der französischen Originalausgabe
LES VAUTOURS
Deutsche Übersetzung von Georges Hausemer
Das Umschlagbild schuf Klaus Holitzka
Redaktion: Friedel Wahren
Copyright © 1985 by Editions Fleuve Noir, Paris
Copyright © 1988 der deutschen Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Printed in Germany 1987
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München
Satz: Schaber, Wels
Druck und Bindung: Eisnerdruck, Berlin
ISBN 3-453-00981-9
PROLOG
Die Luft war feucht und kalt. Über Nacht verwandelte
sich der seit vier, fünf Tagen anhaltende Regen in Glatt-
eis. In der Tat, in diesem Jahr schien es einfach kein
Herbst werden zu wollen. Im Norden wie im Süden war
es eisig kalt. Bereits eine Woche nach der Rückkehr der
letzten Urlauber war der Sommer plötzlich zu Ende und
der Winter übergangslos über ganz Europa hereinge-
brochen. Trotz dieser jähen Wetterverschlechterung ga-
ben sich die Meteorologen überraschend optimistisch.
Ihrer Ansicht nach war in Kürze mit einem herrlichen
Spätsommer zu rechnen. Zum Nachweis ihrer These
führten sie immer wieder Satellitenfotos vor, auf denen
ein gewaltiges Hochdruckgebiet über dem Atlantik zu
sehen war. Ärgerlich war nur, daß dieses Hochdruck-
gebiet es keineswegs eilig zu haben schien, die langsam
über dem Festland kreisenden kalten Luftmassen zu
vertreiben.
David Toland war das Wetter völlig gleichgültig. Ent-
gegen allen Vermutungen wurde seine Arbeit, stati-
stisch gesehen, bei Glatteis oder Dauerregen nicht leich-
ter. Und die Niedergeschlagenheit, die ihm deutlich im
Gesicht geschrieben stand, hatte nichts mit dem Klima
zu tun.
Er stand am großen Fenster seines Appartements und
schaute gelangweilt auf die Stadt hinunter, über der ein
trüber Dunstschleier hing. In der Ferne sah er die Win-
dungen des Straßenkreuzes, auf denen sich endlos
lange Wagenkolonnen voranschoben. Noch weiter weg,
in der Nähe eines hoffnungslos stillstehenden Armes
der Seine, erkannte er die eindrucksvolle Verbindung
der westlichen Umgehungsstraße mit den schnellen
Zufahrtsstraßen aus den nördlichen Vorstadtgebie-
ten. Diese Verbindung glich einer intravenösen Injek-
tion.
Jenseits des Flusses, rechts vom Turm, erkannte Da-
vid den Saint-Louis-Flügel des Amerikanischen Hospi-
tals, eines unheimlich vielversprechenden Neubaus.
Tag und Nacht wurde dort operiert, dank Einrichtungen
und dank eines Personals, das imstande war, mehr als
zwanzig Eingriffe gleichzeitig durchzuführen. Dennoch
war das Lagersystem wenige Monate nach seiner Inbe-
triebnahme bereits völlig überlastet, so daß ungeachtet
der geltenden Vorschriften die Unfallstation und die
freien Betten ausschließlich den Mitgliedern der Ge-
werkschaft vorbehalten waren. Natürlich hatte David
hierfür keinerlei Beweise, doch die abschlägigen Ant-
worten häuften sich, die er als Unabhängiger vom Auf-
nahmepersonal bekam. David war ein guter, zweifellos
einer der besten Sammler. Er arbeitete schnell, und die
Organe, die er ablieferte, waren gesund und wurden in
erstklassigen Substanzen konserviert. Doch er hatte ei-
nen Fehler: Er weigerte sich, der Z.S.A. (Zentrale
Sammler-Abteilung) beizutreten, der von Steve Odds,
diesem fettleibigen und eingebildeten Amerikaner, ge-
führten Gewerkschaft.
Odds hatte alles mögliche versucht, um Toland von
der Notwendigkeit zu überzeugen, Mitglied seiner Or-
ganisation zu werden. Er hatte ihn beschworen, ihm
gedroht. Zunächst hatte er, ziemlich ungeschickt, ver-
sucht, ihn mit Geld zu überreden, doch David ließ sich
nicht bestechen. Die Mitglieder der Gewerkschaft wa-
ren prozentuell am Gewinn beteiligt. Die besten ver-
dienten viel und genossen zudem sämtliche Vorteile
und den Schutz der Z.S.A. Genau das war es, was Da-
vid ablehnte. Der Konkurrenzkampf, der sogar inner-
halb der Organisation herrschte oder bald einzusetzen
drohte, konnte die Arbeitsbedingungen nur verschlech-
tern. Es herrschte ein schlechtes, durch anarchische Re-
krutierungsmethoden vergiftetes Arbeitsklima. Die öf-
fentlichen Auftritte von gewissen Gewerkschaftsmit-
gliedern, die von Psychologie und Ästhetik keine Ah-
nung hatten, bestärkten überdies den schlechten Ruf
der Sammler.
Dann hatte Odds seine Taktik geändert. Er behaupte-
te, die Rivalität zwischen den unabhängigen Sammlern
und den Gewerkschaftsmitgliedern würde der
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