Gnade
ist eine ernste Sache«, erklärte er. »Wahrscheinlich lächelt sie deshalb nicht so oft. Kommst du denn mit ihr zurecht?«
»Ich glaub schon.«
»Wir haben neulich sehr nett über dich geplaudert.«
»Und darüber willst du jetzt mit mir reden, stimmt’s? Ich wusste es!«
»Jetzt halt den Schnabel und hör mir zu! Miss Perine hält dich für ein außergewöhnliches Kind.«
Michelle riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Ich mache kein Feuer, Daddy, wirklich nicht!«
»Das weiß ich doch«, erwiderte er. »Miss Perine meint auch nicht, dass du so außergewöhnlich bist wie Buddy Dupond. Sie glaubt, dass du sehr klug bist.«
»Ich mag sie nicht.«
Erneut drehte Michelle das Gesicht weg. Jake stieß sie leicht mit dem Ellbogen an, damit sie ihn wieder anschaute. »Wie kommt’s, dass du sie nicht leiden kannst? Lässt sie dich zu viel arbeiten? Stellt sie zu große Anforderungen an dich?«
»Ich weiß nicht, was du meinst, Daddy.«
»Ist die Schule zu schwer für dich, musst du zu viel lernen?«
Sie kicherte, als hätte er einen Witz gemacht. »O nein! Es ist babyleicht! Manchmal ist mir total langweilig, weil ich so schnell mit den Aufgaben fertig bin und sitzen bleiben muss, bis sich Miss Perine irgendetwas für mich ausdenkt. Manche Kinder lernen gerade erst lesen, aber das konnte ich ja schon, als ich noch ganz klein war. Weißt du noch?«
Er lächelte. »Ich erinnere mich, wie du angefangen hast, Zeitung zu lesen, während ich mich morgens rasierte. Du hast es dir selbst beigebracht.«
»Nein, das stimmt nicht. Du hast mir gesagt, wie die Buchstaben heißen.«
»Aber du hast sie fast ganz allein zu Wörtern zusammengesetzt. Du hast es sehr schnell kapiert und bist über die Zeilen gehuscht wie ein Fisch …«
»… im Wasser«, beendete Michelle den Satz.
»Ganz recht, Schätzchen. Und jetzt sag mir, warum du Miss Perine nicht magst! Weil du ihr gehorchen musst?«
»Nein.«
»Warum dann?«
»Sie will mich wegschicken«, platzte sie heraus. Tränen schossen ihr in die Augen, und ihre Stimme zitterte. »Das stimmt doch, oder, Daddy? Sie hat mir gesagt, dass sie dich dazu bringen will, mich auf eine andere Schule zu geben, in der ich keinen Menschen kenne.«
»Also, du solltest wissen, dass niemand deinen Daddy zu irgendetwas bringen kann, was er nicht will. Aber diese Miss Perine … na ja, sie hat mich zum Nachdenken gebracht.«
»Sie ist eine Wichtigtuerin. Achte am besten gar nicht auf sie!«
Jake schüttelte den Kopf. Seine Tochter hatte ihn gerade mit seinem Lieblingssatz abgefertigt, den er oft bezüglich ihrer Brüder von sich gab.
»Deine Lehrerin sagt, du hast einen sehr hohen IQ.«
»Dafür kann ich nichts.«
»Es ist doch nicht schlimm, wenn man schlau ist. Aber Miss Perine ist der Meinung, dass wir uns überlegen sollten, wie du die bestmögliche Ausbildung bekommst. Sie glaubt, dass aus dir mal etwas Besonderes wird. Ich habe mir vorher nie Gedanken darüber gemacht, aber ich nehme an, es ist nicht in Stein gemeißelt, dass du heiratest und wie der Blitz Kinder kriegst. Vielleicht haben wir uns in unserer Familie immer zu niedrige Ziele gesteckt.«
»Kann sein, Daddy.«
Er merkte an ihrem Ton, dass sie bestrebt war, ihn versöhnlich zu stimmen.
»Aber ich will nicht, dass sich etwas ändert«, fügte sie hinzu.
»Das verstehe ich«, sagte er. »Aber deine Mama würde sich wünschen, dass wir das Richtige tun.«
»Ist Mama klug?«
»O ja! Klar ist sie das.«
»Aber sie hat geheiratet und wie der Blitz Kinder gekriegt.«
Himmel, dieses Kind war wirklich gewitzt! Warum musste ihn erst eine neue Lehrerin darauf aufmerksam machen?
»Das ist nur deshalb passiert, weil ich ihr begegnet bin und sie umgehauen habe.«
»Weil du unwiderstehlich warst, stimmt’s?«
»Genau.«
»Vielleicht solltest du mit Mama reden, bevor du dich entscheidest. Sie weiß bestimmt, was wir tun sollen.«
Jake zuckte zusammen. »Weißt du etwa, dass ich verschiedene Dinge gern mit deiner Mutter bespreche?«
»Hmm.«
»Woher?«
Michelle lächelte ihn an, ihre Augen blitzten. »Weil du manchmal laut vor dich hin redest. Aber das ist okay, Daddy. Ich unterhalte mich auch gern mit Mama – über alles Mögliche.«
»Na gut, morgen, wenn wir deine Mama besuchen, werden wir beide diese Sache mit ihr besprechen.«
Michelle planschte mit den Füßen im Wasser. »Sie wird sagen, dass ich bei dir, Remy und John Paul bleiben soll.«
»Jetzt hör mal …«
»Daddy, erzähl mir, wie du Mama
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