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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Haufen Barbaren auf Kuba, die für meinen Geschmack in diesem Lager noch viel zu gut behandelt werden.«
    »Weißt du, wie du dich anhörst? Diese Wahlkampfrhetorik höre ich morgens, mittags und abends in den Nachrichten, ich brauche das nicht auch noch daheim.«
    »Vielleicht solltest du dir dann ein anderes Zuhause suchen«, gab Deirdre hart zurück und besiegelte damit das Schicksal ihrer Ehe.
     
    Es fehlte sonst nichts in seiner Wohnung. Neil fragte sich, ob er Anzeige erstatten sollte. Er konnte sich nicht dazu aufraffen. Im Grunde würde es mehr schaden als nutzen. Was der Dekan der Fakultät sagen würde, ließ sich denken, wenn er in der Zeitung las, der umstrittene Autor N.L. derzeit Dozent in Harvard, habe eine Nacht mit einer Professionellen verbracht, von der er noch nicht einmal den Namen wusste, und sei nur in der Lage gewesen, der Polizei eine Tätowierung auf ihrem Hintern zu beschreiben, nachdem sie ihn ausgeraubt hatte.
    Immerhin, es würde ein paar Tage dauern, bis ihm wieder Kreditkarten zur Verfügung standen. Bargeld hatte er auch keines. Er machte sich einen Kaffee und trank ihn schwarz, was sonst nicht seine Art war. Das bittere Koffein vertrieb den Rest des faden Geschmacks in seinem Mund, und er begann mehr und mehr, sich wie ein Idiot zu fühlen. Frustriert beschloss er, Tony Blixton anzupumpen, das Mitglied der anglistischen Fakultät, mit dem er sich noch am besten verstand. Tonys Büro lag nicht weit entfernt, in der Hilliard Street.
    »Du meine Güte, Neil«, sagte er, als Neil die ganze Geschichte erzählt hatte, »klar helfe ich dir mit Geld aus, aber ganz ehrlich, wir haben doch nicht mehr die Siebziger. Was ist, wenn sie nun AIDS hat?«
    »Dann sterbe ich als verkanntes Genie, und du kannst meinen Nachruf schreiben«, entgegnete Neil und bereute es sofort, als Tony das Gesicht verzog. »Tut mir Leid. Mir ist auch nicht wohl bei der Sache.«
    Tony wurde von seinen Studenten allgemein »der Totengräber« genannt, weil die Aufgabe, Nachrufe auf verstorbene Fakultätsmitglieder für die Universitätspublikationen und die Presse zu verfassen, unweigerlich an ihm hängen blieb. Warum das so war, wusste niemand, doch Neil argwöhnte, dass Tony auf diese Weise einen versteckten, verkümmerten literarischen Ehrgeiz befriedigte. Nachrufe bekrittelte niemand.
    Mit ausreichend Geld und Ratschlägen versehen, auf die er hätte verzichten können, nahm Neil die Red Line in die Innenstadt. Die morgendliche Stoßzeit war lange vorüber, also gab es statt der üblichen Studenten nur Touristen und die Anzeigen in der U-Bahn zu betrachten.
    Er stieg früher aus, als er ursprünglich geplant hatte, an der Park Street, und wanderte durch die Altstadt von Boston hinunter bis Faneuil Hall. Wer auch immer die Idee gehabt hatte, aus den drei verfallenen Hallen ein Zentrum für kulinarische Schnellgenüsse zu machen, verdiente Neils Meinung nach einen Orden. Das dichte Gewebe aus Gerüchen und Jazzmusik, das ihn hier empfing, heiterte ihn jedes Mal auf.
    »Aber Dad«, hatte Ben bei seinem letzten Besuch genörgelt, »warum können wir denn nicht zu McDonald’s gehen? Das ist doch gleich da drüben.«
    »Weil du hier in Boston bist, mein Sohn. Iss frisch gefangenen Fisch. Iss chinesische Nudeln, die vor deinen Augen gekocht werden, und keinen Mist aus der Gefriertruhe. Iss meinetwegen auch Pizza, egal, wie lange wir uns dafür anstellen müssen. Aber an den goldenen Zitzen Amerikas kannst du anderswo saugen.«
    »Dad, du spinnst«, war ihm Bens Schwester Julie ins Wort gefallen. »Und ich bin mir sicher, dass Mom dir nicht erlaubt, vor Ben Zitzen zu sagen. Vor mir natürlich auch nicht.«
    »Zitzen ist ein absolut kinderfreier Ausdruck, nicht zu verwechseln mit…«
    Bei seinem verunglückten Versuch, vor seinen Kindern den coolen Vater abzugeben, war er jäh unterbrochen worden, als er einen Stoß an der Schulter erhielt.
    »He, Mister«, hatte eine fette Frau gerufen, die Platz für drei Personen beanspruchte, einen Teller mit Austern in der Hand hielt und ihn empört anstarrte. »Passen Sie doch auf, wenn Sie einfach so stehen bleiben. Mir war fast was runtergefallen.«
    Dann waren ihre Augen zu Ben und Julie gewandert, und sie hatte missbilligend mit der Zunge geschnalzt. »Sind das Ihre? Die sind viel zu dünn; die Kinder heutzutage kriegen ja nichts Gescheites mehr zu essen.«
    Angesichts von Julies gekränkter und Bens verwirrter Miene hatte Neil nicht widerstehen können und erwidert: »Tja, das

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