Wilder Eukalyptus
Prolog
T ränen rannen über Gemmas Wangen, als sie vor dem Grab stand, eine einsame Gestalt in der heißen Januarsonne. Die Trauergäste hatten sich in die Kühle des Gemeindehauses zurückgezogen, wo sie ein kleiner Empfang mit Tee und kalten Getränken erwartete.
Die Arme fest um sich geschlungen, wusste Gemma nicht, was am meisten schmerzte: die Tatsache, dass er für immer fort war, oder seine letzten Worte, kurz bevor er starb.
Vor Gemmas geistigem Auge liefen die Bilder ab, wie sie im Pick-up über die Anhöhe fuhr, durch dichte Staubschwaden, die nicht allein von der galoppierenden Herde stammten. Die Luft flimmerte von roten Sandkörnern, und der Wind pfiff Gemma so laut um die Ohren, dass sie weder das Brüllen der Rinderherde noch das Dröhnen des Flugmotors hörte. Sie beobachtete, wie das Flugzeug zur Landung ansetzte, wie schon so oft zuvor … Aber irgendetwas stimmte diesmal nicht. Dort drüben konnte er nicht landen - zu wenig Platz -, und außerdem kam er viel zu schnell herunter. Großer Gott, nein! , hatte es Gemma durchzuckt, als das Flugzeug, das ihr Mann steuerte, auf dem Boden aufschlug.
Vor dem Grab gab Gemma sich innerlich einen Ruck. Du darfst nicht so viel grübeln, sagte sie sich. Du musst stark sein . Sie wandte sich in Richtung Gemeindehaus.
Hätte sie sich nur ein paar Sekunden früher umgewandt, hätte sie einen fremden Mann gesehen, der in der Tür des Gemeindehauses lehnte und derart unverfroren zu ihr herüberstarrte, dass sie sich erschreckt hätte.
Alle Köpfe drehten sich zu Gemma, als sie den Gemeindesaal betrat, und die Gespräche verstummten schlagartig. Gleich darauf begannen die Unterhaltungen wieder, um das lastende Schweigen zu füllen. Irgendeiner drückte Gemma eine Tasse Tee in die Hand, und ein anderer sprach ihr leise sein Beileid aus. Sie nahm alles wie durch einen Nebel wahr.
»Gem?« Die Stimme hinter ihr ließ Gemma herumwirbeln. Beim Anblick ihrer besten Freundin füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen.
»Jess«, war alles, was sie herausbrachte.
Jess legte den Arm um Gemma. »Na komm, lass uns verschwinden. Du brauchst hier nicht herumzustehen wie Falschgeld.«
Gemma ließ sich von Jess wegbringen, während die Familienangehörigen, Freunde und Nachbarn ihr schweigend hinterhersahen.
Kapitel 1
G emma wachte schweißgebadet auf. Wieder dieser Albtraum. Erst das trudelnde Flugzeug, dann, wie sie zur Absturzstelle gerannt war, zu Adam. Sein blutverschmiertes Gesicht und seine verdrehten Gliedmaßen. Ihr lauter Frustschrei, als es ihr nicht gelungen war, die Cockpittür zu öffnen. Da hatte Adam plötzlich die Augen aufgeschlagen.
»Ich schaff es nicht, Gem«, hatte er gekeucht. »Bitte, pass gut auf dich auf. Ich habe es mir mit ein paar gefährlichen Leuten verscherzt. Denen ist zuzutrauen, dass sie dich belästigen, wenn ich nicht mehr bin. Es tut mir so leid. Verkauf die Farm.« Das waren Adams Abschiedsworte.
Obwohl es gerade erst zwei Uhr morgens war, schlug Gemma die Bettdecke zurück und stand auf. Sie schlurfte in die Küche und machte sich einen Malzkakao. Aus leidvoller Erfahrung wusste sie, dass in dieser Nacht keine Hoffnung mehr auf Schlaf bestand. Sie schnappte sich ihren dicken Pullover und ihre Ugg Boots und ging ins Büro, das sie bereits gründlich durchsucht hatte, da sie aus Adams letzten Worten einfach nicht schlau wurde. Sie hatte nichts gefunden. Im Moment verdrängte sie jedoch den Gedanken an Adam und schaltete den Computer an. Es war Zeit, sich um die Buchhaltung zu kümmern und eine Entscheidung zu treffen, was mit den
fünfundzwanzigtausend Hektar Land geschehen sollte, die ihr Mann ihr hinterlassen hatte.
Durch dieses Erbe gehörte Gemma mit ihren neunundzwanzig Jahren zu den Farmern mit dem größten Grundbesitz im ganzen Distrikt, und niemand traute ihr zu, eine so große Farm alleine zu managen, doch genau das tat sie. Und das bis heute. Für die schweren Arbeiten beschäftigte sie zwei erfahrene Männer, obwohl sie sich nicht davor scheute, sich die Hände schmutzig zu machen. Aber Gemma war diejenige, die die Entscheidungen traf und die Verantwortung dafür trug, dass alles rundlief.
Obwohl es Adams letzte Bitte gewesen war, hatte Gemma nicht die Absicht, Billbinya zu verkaufen. Ihr Land war gutes, fruchtbares Land. Es lag nördlich der sogenannten Goyder-Line, aber immer noch südlich genug, um etwas mehr Regen abzubekommen als die Gebiete hoch im Norden von South Australia. Dabei hatten etliche
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