Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
ihm.
Dann ist es vorbei, und die Männer eilen in die Quartiere, um zu packen.
Es ist nicht viel, was Christoph mitnehmen wird. Neben dem Notwendigen nur ein winziges Album – Mutters Abschiedsgeschenk. Die Bilder zeigen einen ernst blickenden Jungen, der scheu in die Kamera lächelt. Er wirkt seltsam unbeteiligt, selbst auf dem letzten Bild neben Magda. Christoph berührt eines der Sensorfelder, und die eingefrorene Szene erwacht zum Leben. Er beobachtet sein jüngeres Ich, lauscht den vertrauten Stimmen. Dann klappt er das Album mit einer entschlossenen Bewegung zu. Vorbei!
Am nächsten Morgen ist er als einer der Ersten auf dem Flugfeld.
Sie gleiten dahin wie Schatten, ohne Morgen, ohne Tag.
Ihre Schiffe sind schnell, so schnell, dass das Licht der Sterne zu flimmern scheint.
Doch etwas ist anders, hier im Niemandsland. Nicht die Dunkelheit ist ihr Feind, nicht die Stille. Sie wechseln sich ab, O’Brian, Romanow und Christoph. Einer ruht, die anderen wachen. Doch wie Schlaf finden, wenn sich das Nichts vor ihnen jeden Augenblick in ein Flammenmeer verwandeln kann?
Der Feind ist nah. Sie wissen es. Die Flotte hat den Notruf einer Nomadenstadt aufgefangen. Mittlerweile ist er verstummt. Als sie eintreffen, treibt die Stadt wie ein brennendes Schiff durch die Nacht. Funkengarben steigen auf wie Schwärme von Leuchtkäfern und verglühen.
Sie finden keine Überlebenden.
Als Christoph die Meldung durchgibt, erschrickt er über den Klang seiner eigenen Stimme.
Sie lassen die sterbende Stadt hinter sich, kehren zur Flotte zurück. Schweigend. So nah waren sie ihm noch nie. Dem Tod.
Sie gleiten dahin wie Schatten, ohne Morgen, ohne Tag.
Mit brennenden Augen starren sie in die Dunkelheit, doch der Feind bleibt unsichtbar. Sie wissen nichts über ihn. Vielleicht ist er ganz in der Nähe, wartet nur auf den Augenblick zum Zuschlagen. Die Ungewissheit zerrt an den Nerven.
Stunde reiht sich an Stunde. Wachen, schlafen, wachen. Und immer die Angst vor Ihm, dem Unsichtbaren. Ihr Schlaf ist unruhig, und sie erwachen mit schmerzenden Gliedern.
Die Armada ist irgendwo weit hinter ihnen. Falls es überhaupt noch eine Armada gibt. Es ist Funkstille angeordnet.
Wachen, schlafen, wachen. Minuten reihen sich zu Stunden, Tagen, Wochen vielleicht. Die Zeit hat ihre Bedeutung verloren. Um sie herum ist nichts, nur Dunkelheit und – irgendwo – der Feind. Falls es überhaupt einen Feind gibt. Falls überhaupt irgendetwas existiert, da draußen. Christoph ist müde. Seine Lider sind bleischwer, und manchmal schreckt er hoch und weiß, dass er eingeschlafen ist. Im Dienst. Es ist ihm gleichgültig. Ebenso wie der Feind. Auch Furcht kann müde werden …
Dann das Wunder. Eine Stadt, fast zum Greifen nah. Kein verbranntes, ausgeglühtes Relikt, das der Sonne entgegentreibt. Nein, diese Stadt lebt. Das strahlende Blau der Kuppel blendet die Augen.
Eine Fata Morgana, denkt Christoph, aber ein Blick auf die Instrumente belehrt ihn eines Besseren. Der Falke hat das Objekt längst geortet.
Es ist Funkstille vereinbart, aber das ist wichtig genug, um den Befehl zu missachten. Christoph ruft die Lancelot, das Flaggschiff, und meldet seine Entdeckung.
Bange Sekunden verstreichen, dann endlich Antwort: »Erkundung genehmigt. Geben Sie auf sich acht, Christoph.« Die Stimme klingt besorgt, und plötzlich weiß Christoph, wem sie gehört. Einem kleingewachsenen Mann, der seine Augen mit einer Sonnenbrille schützen muss …
Einen Augenblick lang scheint es kühler geworden zu sein in der Kabine, bis Christoph schließlich den Befehl bestätigt und die Verbindung trennt.
Der Falke hat mittlerweile Verbindung mit der fremden Stadt aufgenommen. Sie heißt »Joyous Gard« und ist ein Kunstwerk.
Eine seltsame Auskunft.
O’Brian und der Russe möchten die Stadt am liebsten sofort erkunden. Alle Müdigkeit ist verflogen.
Sie sind jetzt wie Kinder, alle drei. Mit leuchtenden Augen beobachten sie die fremde Stadt, die wie ein blau schimmerndes Juwel durch die Nacht schwebt.
Joyous Gard.
Nur wenige, schneeweiße Federwolken trüben die Sicht, als sie die Energiekuppel durchstoßen und Kurs auf die Stadt nehmen. Doch sie finden nicht, was sie erwartet haben. Keine Nomadenstadt mit hoch aufragenden Wolkenkratzern und Straßenschluchten, in denen der Verkehr brodelt.
Joyous Gard ist nicht viel mehr als ein Dorf, eingerahmt von Wiesen und Kornfeldern. Und darüber, auf einem Hügel, ragt steinern ein Schloss. Mauern und
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