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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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sehen, den mächtigen, gedrungenen Körper und das klaffende Maul, in dem rote Flammen züngeln. Und darüber das Auge, düsterrot und drohend. Er will, er muss es treffen. Und dann schleudert er ihn, den Speer aus weißem Licht, und schaut ihm nach wie ein Kind, das einen Stein geworfen hat. Ängstlich und mit klopfendem Herzen. Die Zeit gefriert, einen Lidschlag lang. Das blitzende Geschoss scheint im Flug zu verharren. Doch dann findet es sein Ziel, trifft, und das Auge zerspringt in tausend blutige Splitter!
    Und dann ist eine tiefe Stille um ihn und eine Leichtigkeit, wie er sie noch nie empfunden hat. Christoph sieht sie herandrängen, die anderen, die ihn einkreisen wie Jäger das Wild. Er weiß, dass er sterben wird und sein treuer Falke mit ihm. Doch er hat keine Angst. Nicht mehr. Das Fest war kurz, aber es war. Er flüstert ihren Namen. Und lächelt.
    Und jetzt schlägt es über ihm zusammen. Sechzehn Flammenschwerter, die auf ihn zuspringen mit leuchtender Klinge. Und mit ihm verglühen in einer feuerroten Blume.
      
    Der Mann auf der Brücke der Lancelot steht stumm. Er hat seine Sonnenbrille abgenommen und starrt hinaus in die Nacht, die für ihn nie dunkel war. Er sieht den Falken heranjagen, brennend und todesgewiss, sieht den Lichtspeer und hofft für den Jungen, dass er sein Ziel findet. Doch der Feind bleibt unsichtbar. Selbst für ihn, den Seher. Bis die Flammenschwerter zuschlagen und Feuerstrahlen durch die Nacht ziehen, deren Spuren sich einbrennen in seine Netzhaut. Sich einbrennen in sein Hirn, wo sie zu Buchstaben und Zahlen werden. Wie flinke Spinnenbeine huschen Balinas’ Finger über die Tastatur seines Terminals, übermitteln Koordinaten, Zielvorgaben für die Kampfschiffe, die mit abgeschalteten Triebwerken im Dunkel lauern.
    Neben ihm steht Spork, der Admiral, reglos. Sie warten, während hinter ihnen Lichttorpedos in die Schächte gleiten, Zielansprachen wiederholt werden und Männer sich bereit machen zum Kampf. Auch Raymond Farr ist dabei, ein junger Offizier, der auf einem Hilfskreuzer im Versorgungsdienst sein erstes Kommando führt. Dieser Tag wird sein Leben verändern, aber das weiß er ebenso wenig wie Maurice, der zusammen mit seinen Kameraden auf den Angriffsbefehl wartet. Der kleine Franzose denkt an Marie-Claire und an die Blüten, die sie für ihn schneiden wird von den Kirschbäumen der Bretagne. Parker vermisst seine Gitarre. Gern würde er noch einmal singen von ihr, die er nie wirklich gekannt hat. You may not see me tomorrow …
      
    Dann sind sie bereit. Alle. Und es wird still, ganz still. Und der Atem ist nicht mehr als ein Hauch …
    »Feuer!«, befiehlt der Admiral. Er sagt es nicht laut, aber ihnen klingen die Ohren davon. Der kleingewachsene Mann hat seine Brille wieder aufgesetzt und wendet sich ab.
    »Feuer!«
    Dann gehen hundert Sonnen auf.
      
    Später, im Herbst.
    Ein Schiff landet auf dem Dorfplatz. Ein Schiff der Admiralität, schlank und schwarz. Ein Mann steigt aus, verharrt ein paar Sekunden vor dem Denkmal, das sie dem Jungen errichtet haben, und geht dann weiter, die Straße hinunter. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille, trotz des Regens. Er geht die Straße hinunter und findet, was er sucht. Das einzige Haus, durch dessen Zaun Unkraut wuchert. Er klopft an die Tür und wird eingelassen. Von ihr, der Frau, die seit Jahr und Tag Trauer trägt. Und er bleibt lange, der Fremde. Denn er hat etwas zu erzählen. Von Abgründen und brennenden Städten. Von Schlössern, Festen, Liebe und Tod. Und von einem Jungen, den sie so nie gekannt hat. Dabei ist sie doch seine Mutter, und er, der Seher, steht in ihrer Schuld …
    Sie weint, als er zu Ende ist, aber sie reicht ihm die Hand zum Abschied. Als er geht, steht sie noch lange an der Tür und schaut ihm nach, bis sich die zierliche Gestalt des Fremden im Grau der Dämmerung verliert.
        

Der Stützpunkt

    »Keine besonderen Vorkommnisse auf der Basis und im Ortungsbereich.«
    Raymond Farr musste den Abschlusssatz nicht extra diktieren. Es gab längst einen Textbaustein dafür: NEV . Wie oft hatte er ihn mittlerweile benutzt? Die Erstellung des Tagesberichts gehörte zur Routine, wie alles, was er heute getan hatte – heute, gestern, letzte Woche und die Monate und Jahre zuvor. Natürlich hatte es auch den einen oder anderen Zwischenfall gegeben in den zwölf Jahren seit seiner Ernennung zum Kommandanten, aber das waren Dinge gewesen, die auf jedem Stützpunkt vorkamen. Manchmal hatten die

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