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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sie brachten ihm Nahrung, die einen als Geschenk, die anderen als Tribut, und wenn sie an einem anderen Tag zurückkehrten, stand alles noch genauso da, wie sie es abgelegt hatten. Sogar die Hyänen und Schakale mieden diesen Ort.
    Der Tote aß nicht, trank nicht, sprach nicht. Lebte und lebte doch nicht. So jedenfalls erzählten es sich die Nomaden, die durch diesen Teil der Namib zogen. Er war der eine, der den Tod mit den eigenen Waffen schlug. Er tat, als sei kein Leben in ihm, und gerade das hielt ihn am Leben. Starr, stumm, vollkommen reglos, so wie der Jäger im Angesicht des Löwen. Stell dich tot, schau deinem Gegner nicht in die Augen! Erst recht nicht, wenn dein Gegner Gevatter Tod persönlich ist.
    Alle hatten ihr gesagt, daß es sinnlos sei, hierherzukommen. Sinnlos und gefährlich obendrein. Aber sie mußte es dennoch versuchen, mußte wissen, ob er derjenige war, für den sie ihn hielt.
    Die Oboe! Kannst du sie hören?
    Nur der Wind. Der Wind …
    Sie zögerte einige Herzschläge lang, als sie den Fuß der Felsen erreichte, dann begann sie den Aufstieg. Der Himmel über der Namib war hellblau, fast weiß, nichts ließ auf einen Sandsturm schließen. So war es meistens: Reisende, denen das Wesen der Wüste fremd war, bemerkten erst, daß sie verloren waren, wenn ihnen der Sand in Mund und Nase drang. Einen Augenblick lang wünschte sie, die anderen hätten nicht auf den Führer gehört und das Lager statt dessen zwischen den Felsen errichtet. Zugleich aber war sie dankbar, daß sie sie allein ließen.
    Es fiel ihr nicht schwer, die Felsen zu erklimmen. Die Säulen am Rande der Formation waren nicht höher als ein Meter, und von ihnen aus war es leicht, die nächsthöheren zu erreichen. Die meisten hatten den Umfang eines Eichenstammes, und ihre Enden waren flach und mit weißen Hauben aus Sand bedeckt. Von fern wirkten sie wie Zinnen und Türme einer vorzeitlichen Festung, von nahem aber glichen sie eher einem Gewirr natürlich gewachsener Treppen. Eingedenk der Höhle in ihrem Inneren schien es fast, als sei dieser Ort als Behausung geschaffen worden, irgendwann in grauer Vorzeit, als Wesen durch diese Wüste zogen, die vielleicht Menschen, vielleicht aber auch etwas anderes waren.
    Vor ihr erschien der Rand der Höhlenöffnung, rechteckig, nahezu symmetrisch. Die Enden einiger Säulen bildeten einen kleinen Vorplatz, uneben und voller Stolperfallen. An drei Seiten stiegen die stufigen Felsen noch höher empor, mit Wüstensand gezuckert wie eine steinerne Geburtstagstorte. Das Spiel des Windes klang hier noch geheimnisvoller, aus jeder Richtung drangen andere Töne, konfuse Melodien, als hätten die Wüstengötter der Damara zur Orchesterprobe gebeten.
    Nach dem grellen Licht der Namib brauchten ihre Augen eine Weile, ehe es ihnen gelang, die Dunkelheit jenseits der Höhlenöffnung zu durchdringen. Die ersten zwei, drei Meter wurden noch von der Sonne beschienen, dann aber versank alles abrupt in Finsternis. Eine seichte Rampe aus Geröll und Sand führte abwärts in Herz des Felsmassivs. Das Gestein war übersät mit vertrockneten Früchten und grauen Brotfladen, manche achtlos in die Tiefe geworfen, andere sorgfältig in geflochtenen Körben abgestellt. Machte das lose Geröll es einem schon nicht einfach, dort hinunterzuschlittern, erschwerten die verstreuten Gaben der Eingeborenen den Weg noch zusätzlich.
    Nach einigen Metern wurde der Boden eben, und dort, vor einer mit primitiven Malereien bedeckten Felswand, kauerte der Tote. Er saß im Schneidersitz, das eingefallene Gesicht zum Ausgang gewandt, die knochigen Hände im Schoß verschränkt. Sein Rücken war durchgedrückt und verlieh ihm einen Hauch von Würde und Stolz, auf die er selbst gewiß keinen Wert legte. Seine Augen waren geschlossen, und man hätte ihn in der Tat für tot halten können – dem Aussehen nach sogar für mumifiziert –, hätte nicht das unmerkliche Heben und Senken seiner Brust verraten, daß er atmete.
    Sie blieb stehen, als sie ihn sah, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie erkannte ihn sofort, auch wenn er kaum noch Ähnlichkeit besaß mit seinem alten Selbst. Dürr und zerbrechlich war sein Körper, wettergegerbt und spröde die Haut, und doch hatte sie keinen Zweifel an seiner Identität. Was sie all die Monate über gehofft, möglicherweise auch befürchtet hatte, war eingetreten. Sie war endlich und wahrhaftig am Ziel angelangt.
    Sie überwand ihre Scheu und ging vor ihm in die Hocke.
    »Ich bin da«, sagte

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