Göttin der Wüste
Herero-Bevölkerung ums Leben.
Die »Erfolgsmeldung« im damaligen Generalstabsbericht der deutschen Schutztruppe ist an Zynismus kaum zu übertreffen: Die Verfolgung der Herero, insbesondere der Vorstoß (…) in das Sandfeld, war ein Wagnis gewesen, das von der Kühnheit der deutschen Führer, ihrer Tatkraft und verantwortungsvollen Selbsttätigkeit ein beredtes Zeugnis ablegte. (…) Diese kühne Unternehmung zeigte die rücksichtslose Energie der deutschen Führung bei der Verfolgung des geschlagenen Feindes in glänzendem Lichte. Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um dem Feinde den letzten Rest seiner Widerstandskraft zu rauben; wie ein halb zu Tode gehetztes Wild ward er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Herero-Volkes. ( … ) Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinns … sie verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit! Das Strafgericht hatte sein Ende gefunden.
Die Legenden um die Erste Rasse, die Weiße Göttin und den Lebensbaum im Inneren der Wüste sind uralte afrikanische Mythen. Einige Parallelen zwischen diesen Geschichten und der biblischen Überlieferung sind erstaunlich. So lehrt die Kirche gern, die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies sei eine Strafe für Evas Ungehorsam gegen Gott gewesen, dafür, daß sie den Apfel vom Baum der Erkenntnis pflückte. Das eingangs abgedruckte Zitat aus dem ersten Buch Mose zeigt jedoch, daß die »Wahrheit« ganz anders aussah: Gott fürchtete demnach, der Mensch könne auch die Früchte vom Baum des Lebens kosten. Die Austreibung Adams und Evas bedeutete somit vielmehr eine Vorsichtsmaßnahme als eine Strafe. Vom Baum der Erkenntnis haben heutzutage die meisten schon im Religionsunterricht gehört, der Baum des Lebens aber wird nie erwähnt. Um so überraschender ist, daß er auch in Afrikas Mythologie eine wichtige Rolle spielt.
Die Arbeiten der folgenden Autoren waren mir bei den Recherchen von großer Hilfe: Karlheinz Graudenz und Hanns-Michael Schindler, Karl-Günther Schneider und Bernd Wiese, Otto Zierer Jan Knappert, Malidorna Patrice Somé und besonders Dona von Marais, dessen hervorragende Abhandlung »The Cain Myth« der zündende Funke war.
Kai Meyer, April 1999
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