Göttin des Frühlings
sie unwiderstehlich fanden. Doch im Vergleich zu Persephone wirkte ihre Schönheit flach. In Gegenwart der jungen Göttin wurden die Dryaden zu gewöhnlichen Mägden.
Das Haar meiner Tochter leuchtete in einem satten Mahagonibraun, das mich immer wieder in Staunen versetzte, weil ich selbst so blond bin. Außerdem war ihr Haar glatt, im Gegensatz zu meinen weizenfarbenen Locken. Es wallte schimmernd bis zu ihrer sanft geschwungenen Taille.
Offenbar spürte Persephone meinen Blick, denn sie winkte mir fröhlich zu, bevor sie das nächste bunte Blatt erhaschte. Ihr Gesicht hatte eine perfekte Herzform. Die großen veilchenblauen Augen wurden von gewölbten Brauen und dichten schwarzen Wimpern umrahmt. Ihre üppigen Lippen wirkten einladend. Persephones Körper war geschmeidig. Ich spürte, dass sich meine Mundwinkel nach unten zogen.
»Der Wein, meine Herrin.« Eirene reichte mir einen goldenen Becher gekühlten Weins von der Farbe des Sonnenlichts.
Nachdenklich nippte ich daran, dann sprach ich meine Gedanken laut aus, wohl wissend, dass sie bei Eirene gut aufgehoben waren. »Sicherlich ist Persephone lieblich und anmutig. Wie sollte sie das nicht sein? Sie hat ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan, als Blumen zu pflücken und mit Nymphen herumzutollen.«
»Und ihre berühmten Gelage zu veranstalten.«
Ich schnaubte sehr ungöttlich durch die Nase. »Mir ist durchaus bewusst, dass sie kulinarische Meisterwerke kreiert und sich zu unmöglichen Zeiten mit« – ich winkte abschätzig in Richtung der Dryaden – »Halbgöttern herumtreibt.«
»Sie ist sehr beliebt«, erinnerte mich Eirene geduldig.
»Sie ist oberflächlich«, entgegnete ich.
Plötzlich zuckte ich zusammen und schloss die Augen, denn eine einzelne Stimme erhob sich über das fortwährende Gemurmel in meinem Kopf und dröhnte mit der Beharrlichkeit einer Fanfare:
Verehrte ernste Göttin der Felder, Früchte und Pflanzen, du starke und gerechte Herrscherin, bitte hilf dem Geist unserer Mutter, der ohne den Beistand einer Göttin ruhelos durch das Schattenreich irrt …
»Demeter, geht es dir nicht gut?« Eirenes besorgte Frage drang durch das flehentliche Gebet, so dass die irdische Stimme verwehte wie Staub im Wind.
Ich öffnete die Augen und sah sie an. »Es nimmt kein Ende.« Noch während ich sprach, bohrten sich weitere Stimmen in meinen Kopf:
O Demeter, wir flehen dich an, bitte gewähre unserer ins Jenseits gegangenen Schwester den Beistand einer Göttin …
O gütige Göttin, die Leben schenkt durch die Ernte, ich bitte um deine Gunst für mein geliebtes Weib, das durch die Pforte der Unterwelt getreten ist und dort auf ewig ohne den Beistand einer Göttin verweilt …
Mit großer Willensanstrengung verdrängte ich das Stimmengewirr aus meinem Kopf.
»Es muss etwas wegen Hades unternommen werden«, sagte ich fest entschlossen. »Ich kann die Sterblichen verstehen. Ihre Bitten sind berechtigt. Sie leiden Not, weil es in der Unterwelt keine Göttin gibt.« Ich erhob mich und lief verdrießlich auf und ab. »Doch was soll ich da machen? Die Göttin der irdischen Reichtümer kann doch nicht ihr Land verlassen und ins Totenreich hinabsteigen.«
»Aber die Toten brauchen wirklich die Fürsprache einer Göttin«, stimmte Eirene überzeugt zu.
»Sie brauchen mehr als nur die Fürsprache einer Göttin. Sie brauchen Licht und Fürsorge und …« Meine Worte verstummten, während Persephones helles Lachen über die Wiese schallte. »Sie brauchen den Hauch des Frühlings.«
Eirenes Augen wurden groß. »Du kannst doch nicht deine Tochter meinen!«
»Warum nicht? Dieses Kind wird getragen von Licht und Leben. Persephone ist genau das, was jenem Schattenreich fehlt.«
»Aber sie ist noch so jung.«
Ich spürte, dass mein Blick weich wurde, während ich zusah, wie Persephone über ein Bächlein sprang und mit der Hand über die letzten vertrockneten Wildblumen strich. Auf der Stelle fuhr Leben hinein, die Stängel richteten sich auf, die Blumen erblühten in leuchtenden Farben. Trotz ihrer Unzulänglichkeiten war Persephone so edel, so erfüllt von Lebensfreude. Es bestand kein Zweifel, dass ich sie von ganzem Herzen liebte. Oft fragte ich mich, ob meine überschwängliche Zuneigung sie davon abgehalten hatte, zu einer Göttin mit eigenem Reich zu werden. Ich drückte die Schultern durch. Es war höchste Zeit, dass meine Tochter flügge wurde.
»Sie ist eine Göttin.«
»Es wird ihr nicht gefallen.«
Ich presste die Kiefer
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