Göttin des Frühlings
tierärztlichen Alltag jedoch regelmäßig auftraten. Schon bei dem Gedanken daran musste sich Lina vor Ekel schütteln und kratzen.
»In einer Bäckerei hat man nie und nimmer mit Blut oder Parasiten zu tun«, sagte sie zu der kleinen roten Katze, bog aus der Gasse nach links und holte tief Luft.
»Magnifico«,
murmelte sie mit der Stimme ihrer Großmutter.
Das verlockende Aroma frisch gebackenen Brotes besänftigte ihre Sinne. Lina schnupperte andächtig, erkannte den Duft von Oliven, Rosmarin und Käse, verbunden mit den süßen Gerüchen von Butter, Zimt, Nüssen, Rosinen und Likören, mit denen Gubana, die Spezialität des Hauses, zubereitet wurde. Dabei handelte es sich um einen süßen Hefekuchen aus dem Friaul, einer kleinen Region östlich von Venedig.
Lina blieb vor dem großen Schaufenster ihrer Bäckerei stehen. Wohlwollend nickte sie angesichts der stimmig auf Stufen angeordneten Kristallteller, die eine Auswahl italienischer Backwaren präsentierten. Sie war von Stolz erfüllt. Wie immer war alles perfekt.
Lina schaute in den Laden hinein und sah, dass ungefähr die Hälfte der ein Dutzend mosaikverzierten Cafétische besetzt war. Nicht schlecht, dachte sie, für einen späten Freitagnachmittag. Sie verlagerte das Gewicht der Katze auf ihrem Arm und sah auf die Uhr: Es war fast vier, um fünf wurde geschlossen; normalerweise war die letzte Stunde ziemlich ruhig und entspannt.
Vielleicht war das eine Antwort. Sie könnte länger öffnen. Aber würde sie dann nicht mehr Personal einstellen müssen? Anton und Dolores arbeiteten bereits Vollzeit, und Lina selbst war auch fast immer da. Würden die zusätzlichen Kosten für einen weiteren Angestellten nicht jeden Gewinn auffressen, den sie mit längeren Öffnungszeiten erwirtschaftete?
Sie spürte, dass sie heftige Kopfschmerzen bekam.
Lina zwang sich ruhig zu bleiben und blinzelte an ihrem Spiegelbild in dem auf Hochglanz polierten Schaufenster vorbei. Sie sah die neuen Fresken an den Wänden – Teil der teuren Renovierung, die gerade abgeschlossen worden war. Doch sie war ihren Preis wert gewesen.
Lina hatte eine bekannte ortsansässige Künstlerin beauftragt, die Wände von
Pani della Dea
mit Szenen aus dem alten Florenz zu bemalen. Diese Gemälde schufen zusammen mit den traditionellen Lampen und Cafétischen eine Atmosphäre, die den Stammgästen das Gefühl vermittelte, sie hätten die Straßen Tulsas verlassen und befänden sich im magischen, sinnlichen Italien.
»Gehen wir mal rein und schauen, was wir mit dir machen«, sagte Lina zu der Katze, die immer noch zufrieden in ihren Armen schnurrte. »Zuerst kümmere ich mich um dich, dann überlege ich, was ich wegen des Geldes unternehme«, fügte sie hinzu und bedauerte, dass man nicht so leicht an Geld kam wie an Katzen.
Das Windspiel über der Tür klingelte, als Lina die Bäckerei betrat. Kurz blieb sie stehen und genoss die vertraute Szene. Anton hantierte an der Cappuccinomaschine, summte dazu den Refrain des Liedes »All That Jazz« aus dem Musical
Chicago
. Dolores erklärte einem Pärchen mittleren Alters, das Lina nicht kannte, den Unterschied zwischen Panettone und Colomba. Die beiden waren die Einzigen im Geschäft, die Lina fremd waren.
Mehrere Kunden grüßten, und Anton schaute auf. Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, als er Lina entdeckte, doch beim Anblick der Katze in ihren Armen machte er eine resignierte Miene.
»Sieh mal einer an, da kommt unsere furchtlose Streiterin – die Katzenmutti.« Er winkte in Linas Richtung.
»Fang bloß nicht so an, Anton, sonst nehme ich dir die DVD von
Chicago
wieder weg, die ich dir zum Geburtstag geschenkt habe«, sagte Lina mit gespieltem Ernst.
Sein vorwurfsvoller Blick verwandelte sich in ungläubiges Staunen. Er verschränkte die Hände über seinem Herzen, als hätte Lina ihn gerade erstochen. »Du tust mir weh!«
Kichernd gab Dolores die Bestellung des Pärchens in die Kasse ein. »Er trommelt schon den ganzen Tag zu ›All That Jazz‹ herum. Das ist schlimmer als seine
Moulin-Rouge
-Phase.«
»Musicals sind bei mir keine Phase, sie sind meine Leidenschaft«, bemerkte Anton.
»Dann müsstest du mich ja bestens verstehen. Tieren zu helfen ist meine Leidenschaft«, entgegnete Lina.
Anton verdrehte die Augen und seufzte demonstrativ. »Ich finde es mehr als beunruhigend, dass ich die Nummer der Straßenkatzenrettung auswendig weiß.«
»Ruf da einfach an«, befahl Lina, aber Anton wählte bereits. Sie
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