Gold in den roten Bergen
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Bis nahe an die Straße war er gekommen. Kaum fünfzig Meter trennten ihn von dem roten, festgewalzten, lebensrettenden Stuart Highway, auf dem in auseinanderwallenden trägen Staubwolken die riesigen Trucks nach Norden oder Süden donnerten, nach Darwin oder Adelaide, quer durch das unendliche Land. Eine verfluchte Straße, durch Wüsten und an ausgetrockneten Salzseen entlang, eine rote Ader durch ein rotes, seit Millionen Jahren ödes Land, eine Höllenstrecke. Aber für ihn, den ausgestoßenen, weggejagten, der unbarmherzigen Natur ausgelieferten Angurugu die einzige Hoffnung, überleben zu können.
Er schaffte es nicht. Unter einem halbverdorrten Casuarine-Baum lag er, den Kopf gegen den rauhen Borkenstamm gedrückt, und atmete mit weit offenem Mund die heiße Luft ein. Die wie Knochengerippe aussehenden verdorrten Wüstenpappeln, von der Sonne weiß gebleicht, die harten Büschel des Stachelschweingrases, die sich in den roten Wüstenboden krallten, das ebenfalls rote Geröll von seit Urzeiten verwitterten Felsen hatte er hinter sich gelassen, aber nun lag er hier in Sichtweite der Straße, dem großen, rettenden Ziel, und wußte, daß diese fünfzig Meter wie fünfzig ferne Monde waren, die er bezwingen mußte.
Angurugu wälzte sich auf den Rücken, zog einen Fetzen seines Hemdes über das Gesicht und streckte sich aus. Sein von den nadelspitzen Halmen der Spinifexbüsche blutig gestochener Körper gab den Kampf auf.
Zuletzt war er zwei Tage lang durch die Tanami-Wüste gekrochen, auf Händen und Füßen wie ein Blauzungen-Skink, eine der vielen Echsen, die in der Wüste leben können, immer den einen Gedanken als letzte Rettung im Herzen: die Straße … die Straße … die Straße …
Nun fehlten diese lumpigen paar Meter. Angurugu befahl seinem zerschundenen Leib: Mach weiter! Kriech weiter! Winde dich über den Boden wie eine Schlange … aber gib jetzt nicht auf! Weiter, ihr Knochen, weiter ihr Muskeln, dehnt und zieht euch zusammen, ihr Sehnen, nur noch bis dahin, bis zu dem roten Band, das ihr seht. Wenn wir am Rand der Straße liegen, haben wir gesiegt, dann wird uns jemand finden, aufheben, mitnehmen nach Alice Springs, wo es Ärzte gibt, ein Hospital, Medikamente, und wo man weiß, wie man die bösen Geister bekämpfen kann, die meinen Körper befallen haben. Verdammter Leib … Nur noch diese paar Schritte!
Lang ausgestreckt lag Angurugu unter den kaum Schatten spendenden rotbestäubten Ästen der Casuarine, den Hemdfetzen zum Schutz gegen die Sonne auf dem Gesicht, und atmete ganz flach.
Nicht die Sonne erzeugte den Brand in seinem Körper, sondern die Krankheit.
Niemand kannte sie, diese Krankheit, sie hatte keinen Namen, es gab auch keinen zweiten, der sie in sich trug. Er, Angurugu, aus der Familie der Namatooa-Aboriginals, ein Stamm, der in der Tanami-Wüste lebte wie vor zwanzig- oder dreißigtausend Jahren, mit dem einzigen Unterschied, daß Missionare ihnen die Kleidung der Weißen aufgedrängt hatten und einen neuen Gott, der Jesus hieß und den sie trotz langer Belehrungen nie so richtig begriffen, weil er so ganz anders war als sie, er also, Angurugu, war der einzige, den die alten Götter mit dieser neuen Krankheit bestraft hatten.
Doomadooa hatte alles versucht. Ein großer Medizinmann war er, einer, der die Götter kannte, mit ihnen in den heiligen Höhlen sprach, seine Stimme mit dem Wind zu ihnen fliegen ließ und im Rauch, der aus dem Feuer stieg, ihre Antwort lesen konnte. Dieser mächtige Doomadooa also hatte nach langem Zögern die schrecklichen Worte gesagt:
»Die Götter haben Angurugu verlassen. Sie stoßen ihn aus. Seine Krankheit ist eine neue Strafe. Nichts hilft mehr. Es ist eine Mahnung für uns.«
Angurugu wußte, was das bedeutete. Noch bevor man ihn zwang, es zu tun, packte er einen Fellsack mit getrocknetem Känguruhfleisch und mit ausgehöhlten, mit Wasser gefüllten Kürbissen. Er verabschiedete sich von seinen drei Frauen und neun Kindern, von Vater und Mutter, die mit ihm in der Asthütte wohnten – auch eine Großmutter war noch da, ausgetrocknet, verschrumpelt, ein atmender Lederlappen mit spinnwebähnlichen, langen weißen Haaren – und zu allen hatte er mutig gesagt, denn Mut ist das erste, was man von einem Mann erwartet: »Lebt wohl, meine Lieben. Vergeßt mich schnell. Es ist eine Ehre, wenn die Götter rufen.« Und seine Familie hatte ihm stumm zugenickt.
Damit war er ausgestoßen worden aus ihrem Leben.
Und dann hatte die Wanderschaft zum
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