Voll gebissen
1.
Liam und ich waren jetzt seit einem guten halben Jahr ein Paar. Um genau zu sein, seit 6 ½ Monaten und es war bis jetzt die schönste Zeit in meinem Leben .
Er war so aufmerksam, so feinfühlig, so liebevoll. Man konnte sagen, er trug mich auf Händen (auch wenn er das zu meinem Leidwesen öfter als gewünscht zu wörtlich nahm) und las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Ich liebte ihn noch genauso, wie am ersten Tag, und entgegen der Prophezeiung meiner Mutter, dass er mir mit der Zeit langweilig werden würde, liebte ich ihn von Tag zu Tag mehr. Manchmal fragte ich mich, wie ich es überhaupt geschafft hatte, ohne ihn so alt zu werden. Eigentlich unvorstellbar!
„Emma! Mr Henderson steht vor der Haustür!“, rief mein Dad von unten herauf. Ich seufzte.
Mr Henderson war mein Fahrlehrer und der Einzige, der meinen momentanen Glücksrausch trüben konnte. Mein Vater wollte mir eine Freude machen, indem er mir einen Führerschein zum Geburtstag schenkte, doch die damit verbundenen Fahrstunden waren der blanke Horror! In vier Wochen war bereits mein Geburtstag und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass mit jeder weiteren Fahrstunde mein heiß ersehnter Führerschein in unerreichbare Ferne rückte.
Die Theorie war dabei nicht das Problem. Das war ei nfach. –Bloßes auswendig lernen. Doch die Praxis? Schrecklich! Ständig würgte ich die elende Karre ab und überfuhr sämtliche Schilder, die der Verkehrssicherheit dienten. Offensichtlich schien mein Unterbewusstsein sie mehr als Empfehlung anzusehen, anstatt sich wirklich daran zu halten , aber das Ganze war auch mehr als schwierig. Man musste auf so vieles achten.
Warum wurde denn kein Auto erfunden, das die Schilder am Straßenrand scannen konnte und dann selbstständig alles erledigte? Nach meinem Buch, wie man einen Jungen richtig datet, würde das als nächstes auf meiner Erfinderliste stehen.
„Emma! Jetzt komm!“, brüllte mein Vater erneut.
Ich zuckte zusammen. Ich hatte nicht die geringste Lust, mich schon wieder einer Fahrstunde bei meinem übergewichtigen Lehrer auszusetzen, der nur mit Mühe und Not auf den Beifahrersitz passte und am laufenden Band lauter schnaufte, als das Auto selbst, doch Dad war der Meinung, dass ich einen Führerschein bräuchte.
Insgeheim wollte ich natürlich selbst gern e einen haben. Ich meine, wie schön wäre es, bei dem miserablen Wetter, das wir hier manchmal hatten, mit dem Auto zur Schule zu fahren und trocken anzukommen, oder wie neu wäre es, wenn ich Liam zukünftig zu einer Verabredung abholen würde und nicht immer er mich? Wenn ich mir die damit verbundenen Umstände allerdings näher betrachtete, sollte ich mir das vielleicht noch mal überlegen. Ich durfte gar nicht darüber nachdenken, in welchem Verhältnis meine strapazierten Nerven zu der Freude standen, einen eigenen Führerschein zu besitzen. Wenn es nämlich danach ging, dann würde ich noch in 50 Jahren zu Fuß gehen.
Wenigstens war Mr Henderson ein gemütlicher Mensch und offensichtlich durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Selbst wenn ich das Auto zehnmal hintereinander abwürgte, oder mal wieder einen Bürgersteig mitnahm, korrigierte er mich ruhig und sachlich.
G anz im Gegensatz zu meinem Vater!
Eigentlich dachte ich immer, mein Vater sei ein friedli ebender, besonnener Mensch, der Ärger lieber aus dem Weg ging, anstatt welchen zu provozieren, doch dies galt nicht für die Zeit, an der ich hinter dem Steuer seines Wagens saß.
Dad hatte, um seinen Geldbeutel (nicht seine Nerven!) ein bisschen zu schonen und um mir das Fahren schneller beizubringen, bereits ein paar Probestunden mit mir unternommen, die jedoch alle in einem absoluten Desaster geendet waren. Ich – heulend – mit verquollenem Gesicht, um Gnade winselnd, völlig fertig hinter dem Steuer, und mein Dad – explodierend – mit hochrotem Kopf, schreiend wie auf dem Kasernenhof, nach Luft japsend, auf dem Beifahrersitz. Zu meiner Verteidigung konnte ich nur sagen: Es lag NICHT an mir! Wirklich nicht! Was das Fahren betraf, war mein Dad einfach irre! Aus dem verträglichen, unterwürfigen Obstverkäufer wurde, sowie er vier Räder unter sich hatte, eine heißblütige Furie, die jedem, der es ihr nicht recht machte (also jedem, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man es ihm diesbezüglich irgendwie recht machen konnte) am liebsten den Kopf abgerissen hätte.
Einmal zu viel Gas gegeben, einmal versucht ohne g etretene Kupplung zu schalten und
Weitere Kostenlose Bücher