Gold und Stein
als Baumeister gut von den ständigen Scharmützeln gelebt. Immerhin haben sie mir stets neue Aufträge beschert. Sowohl in den Städten als auch auf den Ordensburgen gab es viel zu bauen. Die einen verlangten nach neuen Wällen und Verteidigungsanlagen, die anderen wollten die beim Schleifen und Belagern erbeuteten Steine zu neuen Gebäuden aufgerichtet sehen.«
»Ich glaube, die goldenen Zeiten sind auch fortan für dich nicht vorbei. Tüchtige Baumeister werden von den reich gewordenen Kaufherren ebenso gern beschäftigt wie von den zu neuer Macht gelangten Fürsten.«
»Das stimmt. Der Wohlstand ist uns sicher. Deshalb habe ich auch noch eine kleine Überraschung für dich, Liebelein.«
Ehe sie sich’s versah, sprang er auf und eilte aus dem Schlafgemach, um kurz darauf mit einem von einem Tuch bedeckten Gegenstand zurückzukehren.
Agnes fiel es schwer, ruhig im Bett sitzen zu bleiben und Laurenz beim Lüften des Geheimnisses geduldig gewähren zu lassen. Viel zu langsam zog er das Tuch herunter.
»Ein Vogel!«, jauchzte Lore auf und klatschte begeistert in die Hände. Ihre jüngere Schwester ahmte sie nach. Stolz versank Agnes im Anblick ihrer Kinder, die alle vier viel von ihrem Vater hatten. Die Älteste hatte gar dieselben verschiedenfarbigen Augen, während Gerda rehbraune wie ihre Großmutter Gunda hatte.
»Was sagst du dazu, Liebelein?«, musste Laurenz sie förmlich aus ihrer Betrachtung reißen. Langsam drehte sie den Kopf und besah sich den verschreckt in einer Ecke des Käfigs kauernden grauroten Papagei. Wie sein Artgenosse, den Laurenz ihr vor unendlich vielen Jahren einmal zum Geschenk hatte machen wollen, so hatte auch er einen riesigen schwarzen Schnabel und leuchtend rote Schwanzfedern. Sprechen allerdings konnte er wohl noch nicht. Stumm spreizte er die rechte Kralle zur Seite, suchte den Kopf unter einem der beiden Flügel zu verbergen. Agnes lockte ihn mit einem leisen Schnalzen. Vorsichtig näherte er sich der Seite des Käfigs. Sie streckte den Finger durch die Gitterstäbe und kraulte ihn am Nacken. Das ließ er gern geschehen. Bald reckte er wohlig den grauen Kopf und gurrte genüsslich. Mit großen Augen verfolgten die Kinder, was ihre Mutter tat.
Die Hebamme Gutloff allerdings wirkte nicht sonderlich erfreut über das Tier in der Wöchnerinnenstube.
»Wenn ich dich so mit dem Vogel umgehen sehe, fällt mir der gute Zacharias Fröbel ein«, meldete sich Gunda zu Wort. »›Wer die Sprache der Vögel spricht, spricht die Sprache des Herzens‹, hat er gesagt, als er dich mit den Tauben und Hühnern im Hof spielen sah.«
»Da kann ich ihm nur zustimmen«, sagte Laurenz mit einem stolzen Blick auf seine Frau.
»Was herrscht denn hier für ein Trubel?« Während sie alle weiter den Vogel bewunderten, trat Muhme Agatha aus dem Löbenicht ins Schlafgemach. In der Hand hielt sie eine aufwendig bestickte Borte aus dunkelblauem Samt, die von Gold- und Silberfäden reich durchwirkt und mit bunten Stickereien verziert war.
»Ich komme wohl ein bisschen zu spät«, bemerkte sie, nachdem sie die Wiege mit dem einen Säugling und Agnes mit dem zweiten im Bett erspäht hatte. »Eigentlich wollte ich dir diese Borte noch rechtzeitig vor der Niederkunft bringen, damit du etwas zur Hand hast, woran du dich in schweren Stunden festhalten kannst. Aber wie schon bei meiner alten Magd Marie, die heute früh das fünfte Kind von ihrem kräftigen Nedas zur Welt gebracht hat, bin ich auch bei dir eindeutig zu spät dran. Dabei haben Theres und ich in den letzten Tagen nichts anderes getan, als an den Borten für euch beide zu weben. Aber was wissen so zwei alte, alleinstehende Bortenmacherinnen wie wir auch über die Zustände von Hochschwangeren? Mir geht wohl das Gefühl für das, was künftig geschieht, mehr und mehr verloren.«
»So darfst du nicht reden, liebe Muhme! Ich bin mir sicher, du hast dein besonderes Gespür nach wie vor. Nur manchmal haben es gewisse Dinge etwas eiliger und machen deinem Gespür einen Strich durch die Rechnung.« Aufmunternd lächelte Agnes ihr zu. »Täusche ich mich, oder hast du gerade nicht sonderlich überrascht festgestellt, dass ich Zwillinge zur Welt gebracht habe?«
»Bei einer Frau wie dir war früher oder später nichts anderes zu erwarten«, erklärte Laurenz.
»Das liegt auch an dem Mann, der mir seit vielen Jahren so treu zur Seite steht!« Ungeachtet der vielen Besucher und Kinder im Raum schlang sie ihm abermals den freien Arm um den Hals und küsste
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