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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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die ich machte, um ihn zu befestigen, waren flüchtig, aber für die Ewigkeit sollte dieses Provisorium ja auch nicht halten.
    »Meine Güte, was sind Sie geschickt, Fräulein. Sind Sie Näherin?«
    »So ähnlich. Halten Sie bitte still, gnädige Frau, sonst pieke ich Sie.«
    »Die Gnädige können Sie sich sparen.Wäre ich eine, wäre mir das hier nicht passiert.«

    »Mhm.«
    »Diskret auch noch? Sie sind ein erstaunliches Geschöpf. Und Sie haben mir Ihren hübschen Schal geopfert. Geben Sie mir bitte Ihre Adresse, damit ich ihn Ihnen ersetzen kann.«
    »Das ist nicht der Rede wert, Madame.«
    »Doch, ist es, und Madame passt auch nicht so ganz.Wie heißen Sie, Fräulein?«
    »Ariane Kusan«, stellte ich mich vor und bemerkte ein kurzes Zucken ihrer Lider. Sie sagte jedoch nichts, sondern wühlte in ihrem Täschchen und förderte eine Visitenkarte hervor.
    Ich nahm sie entgegen, warf einen Blick darauf und vernähte dann den Faden. Mit der kleinen Verblüffung in ihrer Miene hatte ich mich wohl getäuscht. Woher sollte sie mich kennen? Ich hatte sie zumindest noch nie gesehen, und auch ihr Name sagte mir nichts. Darum schnitt ich den Faden ab und sagte: »Eh voilà, Frau Wever, fertig. Und jetzt muss ich mich beeilen, denn sonst schaffe ich es nicht mehr, auf das Mülheimer Bötchen zu kommen.«
    Was keine faule Ausrede war. Ich musste tatsächlich die Röcke raffen und den Weg zur Anlegestelle in höchst unschicklicher Geschwindigkeit zurücklegen.
    Madame Mira und die Kinder waren schon an Bord, als ich mich leise schnaufend zu ihnen gesellte.
    »Was ist passiert, Ariane?«
    »Eine Jungfer in Nöten. Oder so ähnlich.«
    Ich reichte Madame Mira die Karte und berichtete von dem zerrissenen Seidenkleid.
    »Ein allzu animierter Begleiter offensichtlich, den die Glut alle Schicklichkeit vergessen ließ.«
    »Der jedoch seine Angebetete in einer unangenehmen Lage verlassen hat. Nun, LouLou Wever wird mit dergleichen Aufmerksamkeiten umzugehen wissen.«
    »Sie kennen die Frau?«
    »Vom Hörensagen. Sie ist eine stadtbekannte Kokette und nicht der Umgang, den Sie Ihrer Tante gegenüber erwähnen
sollten, Liebelein. Aber es war sehr freundlich von Ihnen, ihr zu helfen.«
    Manchmal verwendete Madame Mira recht eigenwillige Bezeichnungen, und ich grübelte, was wohl in ihren Augen eine Kokette war. Die Möglichkeiten konnten sich zwischen etablierter Bordellbesitzerin und einer geschiedenen Frau bewegen. Die Adresse auf der Visitenkarte war gutbeleumundet, in der Schildergasse waren die Wohnungen nicht billig.
    »Nun ja, mich hielt sie für eine Näherin«, sagte ich und steckte die Karte sorgsam weg.
    »So sehen Sie heute ja auch aus. Dieses Kleid ist scheußlich.«
    »Ich weiß, aber nützlich. Man sieht die Marmeladen- und Limonadenflecken nicht so deutlich. Ich hoffe nur, Tante Caro hält sich bis in die Abendstunden bei ihrer lieben Freundin Belderbusch auf, damit ich ungesehen in mein Zimmer schlüpfen kann.«
    Das verwaschene Barchentkleid hatte im Laufe der Jahre den größten Teil seiner blauen Farbe eingebüßt, und selbst die rotbraunen Satinbänder, die ich an Ausschnitt und Ärmel genäht hatte, konnten nicht über den fadenscheinigen Saum und manche Flecken im Rock hinwegtäuschen.
    »Sie wird zum Essen bleiben, keine Sorge.«
    Madame Mira grinste mich an, und ich nickte. Ein exquisites Essen schlug meine Tante nie aus. Warum auch, wir konnten uns schließlich nur schlichte Mahlzeiten leisten. Nicht, dass wir Hunger leiden mussten, aber für Lendenbraten oder Entenbrust reichte das Haushaltsgeld nicht.
    Ein Umstand, den wir tunlichst zu verbergen trachteten.
    Denn Tante Caro legte Wert darauf, in den höchsten Kreisen der Kölner Gesellschaft zu verkehren. Und darum galt es, eine makellose Fassade aufrechtzuerhalten.

Schmerz und Belohnung
    Sein Mund wird blau, sein Antlitz fahl,
In Stücke reißt er seinen Schal.
     
    Ferdinand Freiligrath, Die seidne Schnur
    Guillaume de Charnay bemühte sich gar nicht erst, das wilde Zucken in seiner linken Wange zu verdecken. Es setzte, wie er in seinen fünfundfünfzig Lebensjahren gelernt hatte, immer dann ein, wenn große Gemütsbewegungen in seinem Inneren tobten. Sie waren das einzige äußere Zeichen seiner Wut, das er sich gestattete.
    Diese Schlampe hatte es gewagt, sich ihm zu widersetzen. Ja, tatsächlich hatte sie ihm sogar mit bösartiger Gemeinheit das Knie zwischen die Beine gerammt. Darum hatte er sich auf eine schattige Bank setzen müssen, bis er wieder

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