Goldbrokat
berichtigte sie mit einem Lächeln: »Du hast das Kleid sehr wohl schon mal gesehen,Tante Caro. Ich trug es vor neun Jahren zu meiner Hochzeit. Allerdings haben wir es …«
»Ach Kind, wie schrecklich.«
»Daran ist doch nichts Schreckliches. Madame Mira hatte den hervorragenden Einfall, über den Rock diese dunkelblaue
Gaze zu drapieren, damit es nicht mehr gar so jungmädchenhaft wirkt.«
»Aber es muss dich doch unsagbar schmerzen, die Erinnerung an deinen Gatten selig.«
»Es ist ein Kleid, Tante Caro, mehr nicht. Warum sollte ich kostbaren Taft im Schrank den Motten überlassen, wenn er mir doch so gut steht?«
»Du bist so tapfer, Liebes. Dieses hübsche Perlenhalsband ist neu, nicht wahr? Aber du trägst gar nicht mehr die Perlen deiner lieben Mama.«
Die doppelreihige Schnur hatte für die Aufnahmegebühren der privaten Elementarschule herhalten müssen, das Samtband, das ich stattdessen trug, war mit Wachsperlen bestickt, die einer kritischen Prüfung auf Echtheit nie standhalten konnten. Mich störte dieser Umstand allerdings nicht.
»Ich finde dies passender«, beschied ich Tante Caro daher kurz, doch sie hatte einen ihrer Momente der Hellsichtigkeit und schluchzte auf: »Du hast sie verkauft. Lieber Gott, du hast deine Perlen verkauft. Ich habe uns alle ins Unglück gestürzt.«
»Wein doch nicht,Tante Caro. Du kannst nicht mit roten Augen zu Oppenheims kommen. Bedenke doch, wie sehr du dich um diese Einladung bemüht hast.«
Tapfer kam das Spitzentüchlein zum Einsatz, und mit bebender Stimme erklärte sie: »Aber Ariane, doch nur für dich!«
»Für mich?« Damit verblüffte sie mich. Ich dachte, ihr gesellschaftlicher Ehrgeiz, mit den Angehörigen der haute volée auf vertraulichem Fuß zu stehen, sei ihr stärkster Antrieb.
»Der junge Albert hat sich neulich für zwei Tänze hintereinander auf deiner Ballkarte eingetragen. Du musst ihm nur einen zarten Wink geben, Liebes. Ich vermute, er wäre sehr interessiert. Ach, was das für uns alle für eine glückliche Lösung wäre. Deine Kinder hätten wieder einen Vater, und du wärst aller Geldsorgen ledig. Diese Bankiers sollen ja wahre Krösusse sein.«
»Krösus würde sich geschmeichelt fühlen, mit Salomon Oppenheim
verglichen zu werden«, murmelte ich und erkannte das hinterlistige Streben meiner Tante.
Jetzt kam sie auf mich zugeflattert und nahm meine Hände in die ihren. Sie musste ein wenig zu mir aufschauen, denn ich überragte sie um Kopfeshöhe. Eindringlich flehte sie: »Du versprichst mir doch, freundlich und zuvorkommend zu ihm zu sein, Ariane?«
»Ich werde es an Anstand und Höflichkeit nicht fehlen lassen, Tante.«
»Ein bisschen mehr Entgegenkommen könntest du zeigen, Liebes. Du behandelst die Herren manchmal so … so … so schroff. Das mögen sie gar nicht. Sie möchten von uns Damen doch bewundert werden. Und – vielleicht solltest du das Medaillon doch abnehmen.«
»Was?« Ich löste meine Hand aus der ihren und fuhr mir an das Dekolleté, wo der ovale goldene Anhänger warm in meiner Halsbeuge lag.
»Nun, ich weiß, wie schwer es dir fällt, dich davon zu trennen. Aber es könnte einem geneigten Herrn doch signalisieren, dass du noch ein wenig zu sehr an deinem Gatten selig hängst.«
»Das Medaillon bleibt, wo es ist,Tante Caro. Und nun lass uns endlich aufbrechen, damit wir uns nicht noch der Ungehörigkeit schuldig machen, zu spät zu dieser Soiree zu kommen.«
Dieser Hinweis dämmte ihren Wortschwall ein, und mit spatzenhaftem Wedeln und Flattern raffte sie ihre Shawls, Retikül, Tüchlein, Handschuhe und Fächer zusammen.
Der Weg von der Obermarspforte zum Platz am Domkloster war zwar nicht weit, aber unsere Abendgarderobe gestattete es selbstredend nicht, die zierlich beschuhten Füße zu nutzen. Eine Mietdroschke brachte uns zu dem prachtvollen Gebäude, wo uns diskrete Lakaien in den großen Salon führten. Simon Oppenheim, der zusammen mit seinem Bruder Abraham das höchst respektable und äußerst erfolgreiche Kölner Bankhaus leitete, führte ein aufwändiges Haus. Den gesamten Boden bedeckte ein roter Teppich, in dem man beinahe versank, im geschliffenen
Kristallgehänge des prachtvollen Lüsters glitzerte das Licht. Die rosa Seidentapeten und weißen Stuckornamente, die roten Samtportieren, ein barock geformter Marmorkamin, zu den Portieren passende Polstermöbel und die in breiten vergoldeten Rahmen gefassten Porträts der Patriarchen hätten jeden anderen Raum erdrückt, doch die luftige
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