Goldbrokat
Höhe und die schiere Größe dieses Zimmers machten die Üppigkeit beinahe erträglich.
Es waren bereits etliche Gäste versammelt, und wir begrüßten, stellten vor, plauderten, bis der angekündigte Programmteil begann. Sessel wurden gerückt, Stühle herbeigeschafft, Sofas für die Damen gerichtet. Dank der ausladenden Reifen unter unseren Röcken gelang es mir, Distanz zu meiner Nachbarin zu wahren. Helene von Schnorr zu Schrottenberg war nicht meine beste Freundin, wenngleich Tante Caro große Bewunderung für sie hegte. Eine Konversation wurde nun auch nicht mehr verlangt, denn das kleine Kammerorchester und eine aufstrebende junge Sängerin beglückten uns mit den Liedern des Herrn Schubert.
Je nun.
Ich hatte bereits einen langen Tag hinter mir, denn ich ließ es mir nicht nehmen, Laura und Philipp jeden Morgen zu wecken, mit ihnen zu frühstücken und sie zu ihrer Schule zu begleiten. Da wir wenig Personal hatten, widmete ich mich danach den fälligen Hausarbeiten, anschließend kümmerte ich mich um Madame Mira – oder, wenn man es anders sehen wollte – sie kümmerte sich um mich. Ich schloss also mit der Miene äußerster Verzückung die Augen und ließ meine Gedanken müßig wandern.
Vor sechs Jahren hatte mich Tante Caro aufgenommen und mir und meinen vaterlosen Kindern ein so komfortables Heim gegeben, wie ich es ihnen in der Form nicht hätte bieten können. Dafür war ich ihr dankbar, und diese Tatsache rief ich mir immer dann wieder in den Sinn zurück, wenn mir ihre oberflächliche und naivromantische Art an den Nerven zerrte.
Tante Caro war genau genommen meine Großtante, die
jüngste Schwester meiner Großmutter mütterlicherseits. Sie hatte recht spät einen würdigen Professor der Philologie geheiratet, und nach ihren Worten war die Ehe glücklich, wenn auch kinderlos geblieben. Zu kurz war sie auch gewesen, denn schon nach sechs Jahren verstarb Dr. Ferdinand Elenz an einer nicht näher erläuterten Krankheit und hinterließ der trauernden Witwe ein auskömmliches Vermögen sowie das Haus an der Obermarspforte, in dem wir jetzt wohnten. Es hätte für uns alle ein sorgenfreies Leben sein können, wäre Tante Caro nicht ein so leichtgläubiges Huhn gewesen.Vor einigen Jahren wurde es modern, unter den Damen in den Salons auch über Geschäfte zu sprechen, weniger aus Sachverstand als vielmehr aus der Tatsache, dass viele Gatten mit den wie durch Zauberhand sich vermehrenden Fabriken schnelles Geld verdienten. Insbesondere Aktien bargen eine verführerische Magie. Und Tante Caro steckte sich an dem Investitionsfieber an. Sie beauftragte ihren Justiziar, Dr. Bratvogel, der ihr Vermögen verwaltete, den Großteil ihrer Gelder in diesen Papieren anzulegen. Der senile und beschränkte Trottel machte dann auch eine wahre Okkasion ausfindig und kaufte Stammaktien des Augsburger Unternehmers Franz Gustav Wolff. Stolz zeigte mir damals Tante Caro die geschmackvoll aufgemachten Papiere, die mit einem roten Lacksiegel versehen waren, das den Aktionär mit den Worten »Patienta vincit omnia«, Geduld besiegt alles – ein Wahlspruch, der nicht der meine ist – aufmunterte. Daher studierte ich die aufgedruckten Angaben gründlich. Die Aktie 1 versprach die Teilnahme an der höchst wichtigen und nützlichen Erfindung des ersten sich selbst bewegenden Kraft-Maschinen-Wagens oder des Perpetuum mobile. Diese »Fahrmaschine« sollte ohne Brennmaterialien eine Leistung von sechzig Pferdestärken haben. Und die Leistung sollte bis auf zweitausend Pferdestärken gesteigert werden können.
1 Diese Aktie wurde tatsächlich 1847 herausgegeben und begründete den ersten belegten Aktienschwindel Deutschlands.
Diese horrenden Angaben machten mich stutzig. Ich bemühte Brockhaus’ Enzyklopädie, die Ferdinand selig uns hinterlassen hatte, und fand sehr schnell heraus, dass es sich bei dem Perpetuum mobile um eine technische Unmöglichkeit handelte. Mein Versuch, diese Problematik Tante Caro zu verdeutlichen, scheiterten an ihrem standfesten Glauben an die Vertrauenswürdigkeit und männliche Fachkenntnis des alten Bratvogel. Also suchte ich den würdigen Herrn selbst auf und machte ihn auf den Umstand eines möglichen Aktienschwindels aufmerksam. Er behandelte mich wie ein schwachsinniges Kind, pochte auf seine Autorität und Seriosität, und ich entzog ihm flugs die Vollmacht über meine Wertpapiere, die ich ihm zuvor auf den Rat meiner Tante erteilt hatte. Zum Glück hatte er mit denen noch nicht
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