Goldmacher (German Edition)
trug, und sie wartete immer ungeduldiger darauf, dass er sich erfüllen möge: endlich den Platz einzunehmen, der ihr verwehrt wurde. Sie war die Erstgeborene, hatte sich prächtig entwickelt, doch das machte das Missgeschick, als Tochter auf die Welt gekommen zu sein, nicht wett. Das ganze Ausmaß dieses Missgeschicks offenbarte sich ihr, als der Zweitgeborene, der Bruder, designierter Alleinerbe wurde, während sie mit einem Bruchteil des Erbes abgefunden werden würde. Alexandra war tief gekränkt gewesen, hatte sich nicht nur in die zweite, sie hatte sich in die hinterste Reihe der Familie zurückgesetzt gefühlt. Hubert Münzer schien ihr nun für diese Kränkung Genugtuung zu bieten, sie würde sich durch ihn und mit ihm zu wahrhaft Höherem aufschwingen, an dessen Horizont die Beherrschung des Kosmos aufdämmerte, und so erwiderte sie seinen Kuss leidenschaftlich.
In die Heirat mit Hubert hatten ihre Eltern erst eingewilligt, als sie bereits ein Kind von ihm erwartete. Als Mitgift bekam die Tochter den Amselhof, das Landhaus, in dem sie Hubert kennengelernt hatte.
Zu den Hochzeitsgästen hatte auch der General gezählt. Er fand in Alexandra eine schnell entflammte Zuhörerin der unglaublichen Geschichte, dass ein junger Wissenschaftler der Technischen Universität München die Formel zur industriellen Herstellung von Gold entdeckt hatte. Sie unterstützte sofort das Vorhaben des Generals, eine Produktionsgesellschaft zu gründen, und überredete Hubert, das seit Langem nicht mehr genutzte Gewölbe im Hügel für den Bau einer ersten Anlage zur Verfügung zu stellen.
Seitdem hatte nicht nur das von Hubert an den nahen Horizont gerückte Zeitalter der Arier, der künftigen, unbesiegbaren Übermenschen, sondern auch noch eine schon bald in Aussicht gestellte Goldproduktion Alexandras Traum von einer macht- und glanzvollen Zukunft genährt.
Doch die Versprechungen erfüllten sich nicht, wie sie es sich erträumte. Und als Hubert immer häufiger in geheimer Mission unterwegs war und sie mit dem kleinen Franz auf dem Amselhof zurückließ, erhoffte Alexandra sich die Erfüllung ihrer Wünsche mehr und mehr in der Person des Goldmachers. Zunächst nahm sie, den kleinen Franz auf dem Arm, an den Vorführungen für Interessenten an Anteilsscheinen teil, um in dem kleinen Klumpen Gold nicht nur die eigene glorreiche Zukunft, sondern auch die von ganz Deutschland wenigstens schon einmal aufscheinen zu sehen.
Aber schon bald zog es sie auch sonst immer öfter den Hügel hinauf und ins Gewölbe. Sie verstand kein Wort von dem, was der Goldmacher ihr, wenn sie ihn fragte, erklärte, aber sie hing geradezu an seinen Lippen. Bald häuften sich ihre Besuche unter dem Vorwand, der kleine Franz wünsche es sich.
Tatsächlich zog das geheimnisvolle Gewölbe mit seinen schnurrenden, sirrenden und Dampf ausströmenden Kesseln, dem Geflecht von großen und kleinen Rohren und dem Gewirr von Schläuchen den kleinen Franz magisch an. Vielleicht übertrug sich aber auch nur die Neugier, die Wissbegier seiner Mutter auf ihn, denn der sonst überaus lebhafte Junge folgte, wann immer Alexandra mit ihm die Anlage im Hügel aufsuchte, still dem dunkelhaarigen Mann mit dem leidenschaftlichen Blick, folgte jeder seiner Bewegungen und den Worten, die er sagte, auch wenn er sie ganz gewiss nicht verstand.
Obwohl viel abwesend, so entging Hubert das wachsende Interesse seiner Frau für den Goldmacher nicht, denn Diplomingenieur August Lowicki informierte ihn über Alexandras nun fast tägliche Anwesenheit im Hügel. Unter dem Vorwand, die Dämpfe könnten für den kleinen Franz schädlich sein, verbot Hubert seiner Frau schließlich den Zutritt zur Produktionsanlage.
Alexandra erschrak, stimmte ihrem Mann schuldbewusst zu und hielt sich nun mit dem kleinen Franz viel an der gesunden frischen Luft auf, doch sie litt, ohne es sich einzugestehen, unter der Leere, die das Verbot hinterließ. Bald begann sie, das Landhaus zu meiden, und suchte Ablenkung in der Stadt. Sie fand jedoch ohne ihren Mann, der nach wie vor oft auf Reisen war, keinen richtigen Zeitvertreib und ihre innere Unruhe wuchs.
Eines Tages besuchte Alexandra in Begleitung einer ihrer ehemaligen Schulfreundinnen, zu der sie wieder Kontakt aufgenommen hatte, eine Versammlung der Theosophischen Gesellschaft und entdeckte nun die Welt des Übersinnlichen, und ihre schnell entflammbare Seele fand ein neues Zuhause. Sie beschäftigte sich jetzt mit Buddhismus, Seelenwanderung und
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