Goldmacher (German Edition)
1.
»Der junge Mann scheint ja einiges vorzuhaben, so eilig, wie er es hatte«, stellte der Hausarzt mit einem zufriedenen Lächeln fest und gratulierte Katharina, sagte etwas über das Vaterland, das in diesen schweren Zeiten entschlossene und tatkräftige junge Männer brauche, dann beeilte er sich, die Zeit der Geburt, fünfzehn Minuten nach zwölf, und das Datum, den 29. Juli 1924, in den Arztbericht einzutragen.
»Nun lassen Sie das Kindchen doch bloß erst mal Kind sein«, murmelte die Hebamme, während sie es in einer kleinen Wanne in handwarmem Wasser wusch. Dabei zählte sie die Hautfalten an seinem winzigen Körper, ihre Anzahl unmittelbar nach der Geburt galt ihr als Hinweis auf Lebensdauer und Charakter. Das Ergebnis behielt sie in der Regel für sich.
»Was für eine Pracht!«, entfuhr es ihr jetzt jedoch unwillkürlich, »entweder wird unser Kindchen ein biblisches Alter erreichen, oder es ist bereits als weiser Mann auf die Welt gekommen«, prophezeite sie und betrachtete den neugeborenen Knaben, der auch sie wie forschend anzusehen schien.
»Wie soll das Prachtkerlchen denn heißen?«, fragte sie neugierig, als sie es der Mutter an die Brust legte.
Katharina, von der Geburt geschwächt, schaute auf ihren ersten Sohn, und es schien ihr, als ginge ein Strahlen von ihm aus.
»Es ist dein eigenes«, meinte Johann Bluhm, als er das Zimmer seiner Frau betreten durfte und Katharina ihn darauf hinwies.
»Wie soll der Junge denn heißen?«, fragte nun auch der Hausarzt, er wollte den Namen gleich in den Bericht eintragen.
Katharina tauschte einen Blick mit Johann, er nickte ihr zu.
»Anton«, sagte sie nach kurzem Zögern, »er heißt Anton Johann Karl Bluhm.«
»Anton?«, wiederholte die Hebamme und runzelte die Stirn, bis sich langsam ein Schmunzeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, und nun wiederholte sie mehrmals mit zustimmendem Kopfnicken: »Das ist richtig, Frau Bluhm, das stimmt schon, der gibt hier bald den Ton an, der Anton, darauf können Sie sich verlassen, Herr Bluhm!«
»Darauf will ich mich nur allzu gern verlassen«, antwortete der Vater stolz und betrachtete den winzigen Knaben. Er hatte, nachdem ihm Katharina zuvor vier Töchter geboren hatte, lange auf diesen Sohn gewartet, und auch wenn das Strahlen auf seinem Gesicht nicht sichtbar war wie auf dem von Katharina, er empfand große Freude. Aber auch große Erleichterung, würde doch dieser Sohn eines Tages die Last mittragen, die die Papierfabrik für ihn bedeutete, seitdem sie ihm nicht nur unvermutet, sondern auch völlig unvorbereitet zugefallen war. Denn als Johann Katharina ein Jahr vor dem Krieg geheiratet hatte, da war er noch der jüngste von drei Brüdern gewesen.
Im Krieg waren dann die beiden Älteren in kurzem Abstand an der französischen Front gefallen. Wohl aus Kummer über den doppelten Verlust hatte sich der Vater ins Sterbebett gelegt. Johann, jetzt einziger Sohn, war von der Front in die Heimat beurlaubt worden, wo er, nun Alleinerbe, die Leitung der väterlichen Papierfabrik im Niedersächsischen bei Hannover übernommen hatte.
Es war kein einfaches Erbe gewesen, niemand hatte zuvor von ihm erwartet, dass er wirtschaftliche Zusammenhänge erkennen könne oder gar Entwicklungen voraussehen. Er hatte sich bisher weit mehr für das interessiert, was auf dem Bluhm’schen Papier gedruckt wurde als für die Herstellung und den Verkauf des Papiers selber. Und so hatte er zunächst einmal ihm bisher gänzlich unbekannte Bücher, die Geschäftsbücher und die Buchhaltung, studieren müssen.
Nach dem Ende des Krieges war er von Zeit zu Zeit seiner früheren Vorliebe gefolgt und zu den Druckereien nach Frankfurt oder nach München oder nach Leipzig aufgebrochen, die mit dem Bluhm’schen Papier beliefert wurden. Kundenbesuche hatte er diese Reisen genannt, von denen er dann mit einer Vielzahl von neuesten Druckerzeugnissen im Gepäck zurückgekehrt war. Darunter Romane unterschiedlichster literarischer Qualität, Monats- oder Quartalshefte verschiedenster Berufsgruppen und Verbände, aber auch Fachliteratur, etwa für das Studium der Rechte oder der Medizin. Alles interessierte ihn. Besondere Neugier jedoch, ja, eine geradezu schwärmerische Leidenschaft weckten bei Johann Veröffentlichungen über naturwissenschaftliche Forschungen, über neueste Erkenntnisse auf den Gebieten der Chemie und der Physik, und ihre Anwendung in Technik und Industrie. Mochten diese Veröffentlichungen auch noch so nüchtern und für ihn
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