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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Toten und begann, mit beiden Händen den Schnee von seinem Kopf wegzuräumen.
    Da glaubt ein Mann, der Tod habe für ihn alle Schrecken verloren; er ist schon zu unzähligen Mordopfern gerufen worden und inzwischen abgebrüht genug, um sich nüchtern zu sagen, dass steifgefrorene Leichen immerhin die am wenigsten abstoßenden sind. Doch hier wurde eine Totenmaske unter dem Schnee sichtbar, wie der Chefinspektor noch keine gesehen hatte. Er wusste, dass er diesen Anblick niemals vergessen würde.
    Aber er ahnte noch nicht, dass dies der entscheidende Augenblick seines Lebens war.
    »Das ist Mord«, sagte Arkadi.
    Pribluda reagierte nicht darauf. Er legte sofort auch die beiden anderen Köpfe frei. Sie glichen dem ersten. Dann stellte er sich wieder mit gespreizten Beinen über die mittlere Leiche, bearbeitete mit beiden Händen den steifgefrorenen Mantel, bis er auseinanderbrach und sich ablösen ließ, und öffnete auf diese Weise dann auch das Kleid darunter.
    »Man kann immerhin noch erkennen, dass es eine Frau ist«, sagte Pribluda und lachte.
    »Sie ist erschossen worden«, wandte Arkadi ein. Zwischen ihren blutleeren weißen Brüsten war eine schwarze Einschusswunde zu erkennen. »Sie vernichten Spuren, Major.«
    Pribluda riß auch die Kleidungsstücke der beiden anderen Toten auf. »Erschossen, alle drei erschossen!« Er jubelte wie ein Grabräuber.
    Der Fotograf hielt in einer Serie von Blitzlichtaufnahmen fest, wie Pribludas Hände steifes Haar zur Seite schoben und eine Kugel aus einem Mund holten. Arkadi sah, dass nicht nur die Gesichter verstümmelt waren, sondern dass den drei Toten auch sämtliche Fingerspitzen fehlten.
    »Bei den Männern kommen noch Kopfschüsse dazu.« Pribluda säuberte seine Hände im Schnee.
    »Drei Leichen, das ist eine Glückszahl, Chefinspektor. Da ich jetzt die Schmutzarbeit für Sie erledigt habe, sind wir quitt. Genug!« befahl er dem Fotografen. »Wir gehen.«
    »Für die Schmutzarbeit sind immer Sie zuständig, Major«, sagte Arkadi, als der Fotograf davon gestapft war.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Drei Erschossene, die verstümmelt im Schnee liegen? Das ist ein Fall für Sie, Major. Wer weiß, wohin meine Ermittlungen führen könnten?«
    »Wohin denn?«
    »In die falsche Richtung, Major. Haben Sie daran gedacht? Sollten Sie und Ihre Männer den Fall nicht übernehmen, damit ich und meine Leute heimfahren können?«
    »Ich sehe hier keine Anzeichen für ein Verbrechen gegen den Staat«, wehrte Pribluda ab. »Ein etwas komplizierterer Fall als üblich - sonst nichts.«
    »Vor allem deshalb kompliziert, weil jemand die Spurensicherung erschwert hat.«
    Der Major zog sich die Handschuhe an. »Sie bekommen meinen Bericht und die Fotos, damit Sie von meinen Bemühungen profitieren können.« Er sprach so laut weiter, dass die anderen ihn hören mussten.
    »Sollten Sie allerdings auf etwas stoßen, das in den Aufgabenbereich des Komitees für Staatssicherheit fällt, müssen Sie natürlich veranlassen, dass die Staatsanwaltschaft mich sofort benachrichtigt. Verstanden, Chefinspektor Renko? Wir wollen augenblicklich benachrichtigt werden.«
    »Ja, ich verstehe«, antwortete Arkadi ebenso laut. »Sie können sich auf uns verlassen.«
    Hyänen, Aasgeier, Schmeißfliegen, Würmer, dachte der Chefinspektor, während er beobachtete, wie Pribludas Wagen zurückstießen, wendeten und davonfuhren. Nachtgetier. Die Morgendämmerung machte sich deutlicher bemerkbar. Er zündete sich eine weitere Zigarette an, um den schlechten Geschmack, den das Intermezzo mit Pribluda hinterlassen hatte, aus dem Mund zu bekommen. Die am Rand der Lichtung stehenden Kriminalbeamten gafften noch immer. Sie hatten zugesehen, wie die Gesichter der Toten freigelegt wurden.
    »Das ist jetzt unser Fall«, erklärte Arkadi seinen Leuten. »Wollt ihr nicht langsam was unternehmen?«
    Er veranlaßte, dass einige der Männer die nähere Umgebung der Lichtung absperrten, und ließ den Sergeanten vom Einsatzwagen aus über Funk weitere Männer, Schaufeln und Metalldetektoren anfordern. Etwas geheuchelte Betriebsamkeit munterte seine Leute meistens ein bißchen auf.
    »Das heißt also, dass wir … «
    »Wir machen weiter, Sergeant. Bis auf weiteres.«
    »Herrlicher Morgen«, feixte Lewin.
    Der Gerichtsmediziner war älter als die anderen. Er stand im Rang eines Milizhauptmanns. Er hatte kein Mitleid mit Tanja, der Expertin für Spurensicherung, die den Blick nicht von den Gesichtern der Toten wenden konnte. Arkadi nahm

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