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Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)

Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Bei Tränen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Lauriel
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1
Meine Manolos
     
    Immer wenn ich weinen muss, passiert
eine Katastrophe.
    Kennen Sie
das auch?
    Ich bin
keine Heulsuse, wirklich nicht. Ich, Lucinda Schober, bin eine typische deutsche
Singlefrau in den Dreißigern, Sternzeichen Zwilling.
    Meine kleine
Schwester Kat behauptet ja, dass dieses Sternzeichen der Grund für viele meiner
Probleme sei. Vielleicht hat sie damit recht, vielleicht aber auch nicht; es spielt
keine Rolle. Man sagt, ich sei innerlich permanent hin- und hergerissen und könne
keine Entscheidungen treffen. ›Man‹ bezieht sich dabei auf meine Eltern und meine
beiden anderen Geschwister. Sie sind natürlich keinesfalls der Ansicht, dass mein
Sternzeichen da eine Rolle spielt, sondern behaupten, die wahre Ursache für meinen
Lebenswandel – ja, das Wort benutzen sie oft und gerne – liege in einer tief verwurzelten,
alles überschattenden Faulheit. Damit begründen sie, dass ich das Abitur erst im
zweiten Anlauf schaffte, nachdem ich heftig auf die Nase gefallen war. Damit begründen
sie die Wahl meines Studienfachs, Grundschulpädagogik, nachdem ich während des gesamten
letzten Schuljahres zwischen vier weiteren Möglichkeiten geschwankt hatte. Und damit
begründen sie meine Entscheidung, das Studium nach der Zwischenprüfung zu schmeißen
und mich stattdessen in einem Callcenter zu verdingen, wo ich mir das ›schnelle
Geld‹ erhoffte. Sie irren sich. In Wahrheit wollte ich, glaube ich, nie studieren,
und schon gar nicht Grundschulpädagogik. Das tat ich nur, weil ich damals zu jung
war, um mich gegen die elterliche und geschwisterliche Übermacht aufzulehnen. Schließlich
sollte ich als Arzt- und Apothekerinnentochter etwas ›Sinnvolles‹ werden. Abitur
war Grundvoraussetzung und ein Studium Pflicht. Wenigstens bei der Fächerwahl rebellierte
ich damals ansatzweise, denn Lehrerin von kleinen Monstern zu werden, hatten meine
Eltern sich nicht gerade für mich erträumt. Meine große Schwester Anna Maria und
mein kleiner Bruder Rouwen, der durch meinen Fauxpas im selben Jahr wie ich sein
Abitur hinlegte – er natürlich mit Einserschnitt –, zeigten mir doch im Grunde sehr
deutlich, in welche Richtung ich gehen sollte, um eine neue, akzeptable Familientradition
zu festigen, mit der der Arzt und die Apothekerin zufrieden sein konnten: Jura.
    Mir rollen
sich selbst jetzt die Fußnägel ein, wenn ich dieses Unwort schreibe. Ich meine:
ausgerechnet J U R A.
    Medizin
wäre natürlich ebenfalls standesgemäß gewesen … oder Biochemie, um in die Forschung
zu gehen. Oder wenigstens Theologie. Dinge, die einen Menschen erden. Nicht solch
wenig einträgliche Fächer wie Kunstgeschichte, Übersetzungswissenschaft, Theaterwissenschaft.
Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, Sozialpädagogik zu studieren, aber ich
muss ehrlich gestehen, dass mich der Anblick der Studentinnen mit ihren schweren
Pannesamtröcken und schwarzen, flachen Baumwollschuhen, den Viereckschals und geflochtenen
Zöpfen abschreckte. Wollte ich mit ihnen einen entscheidenden Teil meiner Jugend
verbringen? Nein.
    Das etwas
langweilige Volk der angehenden Grundschullehrer sagte mir da schon eher zu, auch
wenn ich mich mit meinen modischen Vorlieben ein bisschen wie ein Paradiesvogel
fühlte.
    Hmm, wenn
ich es recht bedenke, hat Kat, meine rebellische Schwester – sie betreibt gemeinsam
mit meiner besten Freundin und Exkommilitonin Susa einen Biohühnerhof in der Nähe
von Saarlouis –, am Ende doch recht mit ihrer Zwillingstheorie.
    Zwei Seelen
wohnen, ach! in meiner Brust.
    Einerseits
entschied ich mich also für die etwas biedere Grundschulpädagogik, andererseits
hob ich mich von meinen Mitstreitern durch meine Kleidung ab. Damals unterstützten
meine Eltern meine Bemühungen noch monetär, und ich konnte meine Garderobe ganz
nach meinem Geschmack zusammenstellen. Geld spielte keine Rolle. Da meine Mutter
selbst sehr auf ihr Äußeres achtet, gestand sie mir zu, die Marken zu tragen, die
ich bevorzugte. Über neidvolle Bemerkungen meiner Kommilitoninnen ging ich meist
mit einem überlegenen Lächeln hinweg. Ja, wenn ich zurückdenke, war es eine leichte
und irgendwie auch schöne Zeit. Doch dann setzte sich die andere Zwillingshälfte
in mir durch und stellte auf stur. Ich bemerkte, dass mir das Studium überhaupt
nicht lag, und verkündete, dass ich damit aufhören wollte. Sofort wurde mir der
Geldhahn zugedreht. Ich suchte und fand rasch eine Alternative: das Callcenter am
Großen Markt mitten in der Stadt Saarlouis.

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