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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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denken und eine vollkommen saubere neue Glaubensweise zu entwickeln. Ich konnte mich nicht zur Tabula rasa machen, auf der Gott neu gedacht wurde. Ich konnte mir keine neue kleine Privatreligion gründen, die kein Blut an den Händen haben würde, die ganz toll und rein, modern wäre. Menschen sind nicht modern. Und ich habe diesen Reinheitswahn nicht. Das ist was für Sekten. Für Menschen, die sich von allem trennen, was nicht mehr zu ihrer Idee passt.
    Ich hatte in der Zeit, in der ich mich von Gott abgewandt hatte, den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Mit dem Glauben an Gott kam die Welt zurück. Und mit ihr die Menschen. Und mit den Menschen die Geschichten, die sie mit Gott erlebt hatten.
    Mit den Geschichten kamen die Religionen. Jede Religion, die Blut an den Händen hatte und das nicht verdrängte, schien mir vertrauenswürdig. Denn mich interessierte keine blanke Idee, ich wollte die Wirklichkeit – mit Gott. Und überall, wo der Mensch versucht, mit dem Heiligen umzugehen, kann er nur scheitern. Dieses Buch hier, das ich schreibe, ist voll von Müll und halbfertigen Gedanken – und das, obwohl ich es wage, von Gott zu erzählen. Sobald der Mensch die Verantwortung für etwas Großes in die Hand bekommt, baut er Mist. Vielleicht bin ich deswegen heute katholisch. Ich liebe die Gründungsgeschichte: Petrus bekommt das Amt von Gott, und das Erste, was er macht, ist – Scheiße bauen, ihn verleugnen, und das wird bis heute erzählt. Das wurde nicht rausgestrichen aus der Bibel. Das gehört zum Bewusstsein jedes reflektierten Katholiken. Aber so weit war ich damals längst nicht. Ich war ja klassisch gebildet, mit klassisch-antirömischem Reflex, der gehörte in Deutschland ja quasi zum guten Ton.
    Das Einzige, was mir schnell klarwurde, als ich begann, über die Religionen zu lesen, war, dass ich das Luzide und den Lehm, die Gerüchte und die Hoffnungen der ganzen Generationen vor mir, der Epochen, in denen der Glaube an diesen einen bestimmten Gott in Europa eingesaugt, ausgestoßen, eingegrunzt und ausgeschnarcht, ein- und ausgeatmet wurde, im Schlafen und im Schaffen, im Bewussten und Unbewussten, von mir nie würde ganz abschütteln können.
    Alle Gedanken über Gott, die in diesem Buch stehen, hat es schon gegeben. All das steht irgendwo schon besser und schöner und gründlicher durchdacht.
    Das verstand ich damals. Und ich gestand mir ein, dass es lächerlich wäre zu glauben, mit dem eigenen schwachen Geist weiterzumachen, um dadurch den wahreren Gott zu finden. Wenn er etwas mit den Menschen zu tun haben wollte, und das musste ich annehmen damals, sonst hätte er uns nicht die Möglichkeit gegeben, über das Leben und Sterben, über Wahrheit und ihn nachzudenken, dann mussten auch andere Menschen etwas von ihm wissen.

10
    «Ai habibi», jault die Stimme aus den kleinen Boxen hinten im Bus. Wir rumpeln durch die Landschaft des Libanon. Ich stand an der Grenze zu Israel an diesem Nachmittag. Wir konnten sie aber nicht passieren. Wir haben von den Hügeln auf der einen Seite des Zauns in das hellbraune Land geschaut, das ich aus meiner Kinderbibel kannte. An manchen Häusern im Grenzgebiet waren kleine Plaketten befestigt. Die waren grün. Märtyrerzeichen.
    Ich bin hier mit einer Gruppe junger Leute. Kirchliche Vereinigung. Ich gehöre nicht dazu, aber ich durfte trotzdem mitkommen, weil ich mit ein paar von denen befreundet bin. Wir pflegen hier Behinderte und Geisteskranke, aber heute haben wir frei.
    Die quengelnden orientalischen Flöten und die jammernden Streichinstrumente dudeln zusammen mit dem arabischen Gesang zum Rhythmus der Trommeln und lassen die Fahrt über die Schlaglöcher, die den Bus so wanken lassen, dass man zwischendurch fast vom Sitz fällt, schneller erscheinen.
    Die Sonne geht unter. Wir fahren am Meer vorbei. Es donnert einfach an dieses Land heran. Es wird nicht von lieblichen Stränden eingefasst.
    Die Zedern waren schön. Unter denen bin ich heute spazieren gegangen. Irgendjemand hatte eine Box mit alter Flötenmusik in einen der uralten Bäume gehängt. Als ich mich davon etwas entfernt hatte, kam ich zu einem alten, kleinen, braungebrannten Mönch, der auf einem Stein im heißen Schatten eines Baumes saß. Er grüßte mich und lächelte. Und sagte dann in einer Mischung aus Englisch und Französisch: «Man muss sich niemals fürchten.»
    «Ich weiß», sagte ich.
    «Gott ist wie die Sonne», sagte er und zeigte auf das glühende heiße, weiße Ding am Himmel, das

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