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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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Frische. Biologisch und politisch und moralisch sei das Ganze einwandfrei. Er taucht ein Löffelchen in das Glas, ich sehe ihm zu von meiner Stelle am Vorhang. «Nun kommen Sie. Bitte.» Er hält das Löffelchen am weit ausgestreckten Arm über die Bühne und winkt damit ungeduldig in der Luft herum. Der Bischof kommt dazu, er nickt, «Ja, ja», er findet das ganz richtig, «nur», sagt er, da fehle noch die Prise Sinn drin. Er beginnt, umständlich aus seinem roten Gewand mit den weiten Ärmeln ein kleines Tütchen mit Pulver zu ziehen, und bereitet eine Line auf der Bühnenkante, die er mit seiner Kreditkarte sauberkratzt, was ihm schwerfällt, weil er so klein ist und sich auf die Zehenspitzen stellen muss, um über den Bühnenrand sehen zu können. «Ungemein nützlich», murmelt er.
    «Hauptsache gesund» – das war wieder eine andere Stimme.
    «Hauptsache, es schmeckt, sag ich immer», das war tatsächlich wieder der Bischof.
    «Gott?», das war der Clown.
    Dieses Gespräch mit der Kommilitonin über Gott hat mich nervös gemacht. Und zwar nur deshalb, weil ich ausgesprochen habe, was ich heimlich glaube: dass es IHN gibt. Dass mein Vater gestorben ist, obwohl ich gebetet habe, habe ich ihr nicht gesagt, auch nicht, als sie meinte: «Wie kann man an Gott glauben, wenn man auf das Leid mancher Menschen schaut?» Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Der Clown schnurrt wie ein Kätzchen an meinen Füßen und hat sich auf den Rücken gelegt. Der Bischof und der andere sind verschwunden, und hinten im Raum ist das Lämpchen des Technikerpultes erloschen. Wir warten hier. Im dunklen Saal.
    Als ich Abi gemacht habe, kurz nachdem dieses Dröhnen begonnen hat, war ich auch schon hier. Da hinten rechts, bei den Sperrsitzen war das.
    Und danach, als wir die Noten bekommen hatten, als ich mit dem Auto die Abkürzung über die Feldwegkulisse nahm, da dachte ich, dass es für mich nie wieder einen Weg zurück zu Gott würde geben können. Weil ich mit meiner angerissenen Welt mit Papas Tod von neuem gegen ihn anrennen könnte, um den schweigenden Vorhang, diese Mauer zu stürmen, weil ich Heere anwerben und meine Welt in ihrer Dichte zusammenpressen könnte zu einem großen schweren Stein und auf das Katapult hieven, ihn kilometerweit ziehen und dann gegen Gott schleudern könnte, und was brechen würde, wäre immer nur meine Welt. Immer wieder.
    Wahrheit ist Gott, und darum so wirklich, dass es weh tut, dagegenzustoßen. Eine Dichte, an der alles zerspringt, weil er wirklicher ist als alles, was wir kennen.
    Wer wagt es, Gott anzusprechen? Mir verbot sich das. Das war gar kein Gedanke damals. Das war physisch. Das ging nicht mehr.
    Gott? Das war der Clown. Er scheint langsam einzuschlafen und murmelt im Schlaf. Ich gehe den Vorhang ab. Eins der Holzbretter knarzt. Irgendwo im Foyer fällt eine Tür ins Schloss. Ich bleibe stehen und horche in die weiten Gänge und das Treppenhaus hinter dem dunklen, leeren Theatersaal hinein. Ich sehe die Requisiten im Halbdunkel. Die stehen da wie Schatten. Ich könnte mich einrichten. Ein großes Zimmer, eine ganze Wohnung. Ich könnte auch wieder auf die Straße gehen und mein Leben in die Hand nehmen. «Ihr habt jetzt alle Möglichkeiten», haben sie uns zugeflötet, als wir Abi machten, und das war nicht mal rein theoretisch wahr, aber egal. Ich kann da nicht mehr raus. Ich will nicht irgendetwas machen. Ich will – Wahrheit. Und weiß nicht, was das eigentlich bedeutet. Aber ich will es. Als hätte ich Blut geleckt. Weil ich den Ursprung meiner Existenz dort vermute. Nein, das geht viel weiter. Weil dieses Dröhnen, dieses «Du sollst», ganz anders ist als das Geflüster im Wald, als das säuselnde «Du bist frei» im Wodkarausch. Es ist so, als wäre dieses Dröhnen nur für meine Freiheit gemacht. Als wäre dieses «Du sollst» etwas, auf das nur Freiheit anspringen kann – aber niemals diese «Alles-ist-egal-Freiheit» aus dem Wald. Nichts ist egal. Ich soll. Dazu muss ich mich verhalten. Und was ist mit meinem Schmerz? Was ist mit Papas Leid?
    Vielleicht ist Gott ein Sadist. Vielleicht ist hinter der Grenze, die wir nur mit unserem Inneren passieren können, ein großes Kind, das schlecht erzogen wurde und sich nicht kümmert. Wenn Gott, wie die Christen behaupten, Liebe ist, dann verstehe ich diese Liebe nicht. Dann ist sie irrer und strenger als meine.
    Hallo?, könnte man fragen. Das könnte ich ja mal leise aussprechen. Geht nicht. Ich summe eine Melodie. Sie

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