Gottesopfer (epub)
Allerhöchste, dem du in deiner stolzen Ãberhebung und frechen AnmaÃung gleich geachtet werden möchtest.«
Wie ein Netz aus StraÃen auf einer Landkarte lief nun das Blut den kahlen, mit tiefen Schnittwunden übersäten Schädel herunter. Frau Dileilah stöhnte und wimmerte immer lauter. Der Mann befreite sie von dem Seil und redete dabei weiterhin unaufhörlich.
»Dich bändigt Gott â¦Â der Vater â¦Â der Sohn â¦Â der Heilige Geist, das Zeichen des Kreuzes und die Kraft aller Geheimnisse des christlichen Glaubens.« In den Pausen zwischen den Worten zeichnete er immer wieder ein Kreuz in die Luft.
»Ausziehen!«, fuhr er sie an.
Zitternd knöpfte sie die Knopfleiste ihres Kittels auf, schälte sich aus ihrem Korsett und stand schlieÃlich in ihrer ganzen fleischlichen Pracht nackt und in Stoffpantoffeln vor ihrem Peiniger. Er drückte sie wieder in den Stuhl zurück, band abermals das Seil um sie und holte zwei eigenartige Eisenschienen aus dem Rucksack, die er um ihre Unterschenkel legte.
Sie wusste, dass es ein Fehler gewesen war, dort hinzugehen. Jetzt würde sie dafür bestraft werden. Sie sah ihm in die Augen, und dann sah sie es, aber bevor sie den Gedanken zu Ende denken konnte, durchfuhr sie ein unmenschlicher Schmerz. Als es das erste Mal dunkel um sie wurde, hörte sie dumpf seine Worte: »Heilig, heilig ist der Herr, der Gott der Heerscharen â¦Â«, und das Schlagen der Standuhr. Es war neun Uhr.
1985
Rosa Rieckmann zerrte den schreienden und zappelnden Jungen von seinem Stuhl. Auf der weiÃen Plastikdecke, die auf dem Esstisch lag, schwammen Wurststückchen in einer uringelben Suppe und bewegten sich in Richtung Tischkante.
Der Junge stemmte sich mit seiner ganzen Kraft gegen den Körper der Frau, die ihn jetzt an beiden Armen aus der Küche über den Flur in sein Zimmer schleifte. Sie warf ihn in sein Gitterbett, lieà die Stahlrollläden herunter, die das Zimmer in vollkommene Dunkelheit tauchten, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich ab. Der Junge schrie aus Leibeskräften, während Rosa sich die Ohren zuhielt und zurück in die Küche marschierte. Der Boden bebte unter ihren Schritten. Inzwischen hatte die Suppe auf dem Küchenboden eine beachtliche Pfütze hinterlassen, und Rosa wischte fluchend die Schweinerei auf. Dann warf sie den Lappen in die Spüle, holte einen Kochlöffel aus der Schublade und marschierte stampfend zurück in das Zimmer, aus dem immer noch das Geschrei des Jungen zu hören war.
»Lass ihn doch«, sagte ihr Mann Gunther zaghaft und legte seinen Löffel beiseite, sehr darauf bedacht, dass kein Fleck auf der Decke entstand. Er sah zu seinem anderen Sohn, der es nicht wagte, seinen Blick vom Teller zu heben, und der, ohne sein Gesicht zu verziehen, die versalzene Suppe aÃ.
SchlieÃlich erhob der Mann sich vom Tisch und ging seiner Frau hinterher, die die Kinderzimmertür mit einem solchen Schwung hinter sich zugeknallt hatte, dass aus der Wand kleine Putzstücke auf den durchgetretenen braunen Teppich geflogen waren. Er hob sie auf und blieb vor der Tür stehen.
»Ich werde dich schon lehren zu gehorchen, du kleiner Mistkerl«, hörte er seine Frau keifen. Dann holte sie offenbar aus. Pfeifend sauste der Kochlöffel immer wieder auf den kleinen Körper des Jungen nieder, bis aus dem Geschrei ein Wimmern wurde und schlieÃlich auch das erstarb.
Gunther Rieckmann wusste, dass es Zeit war zu handeln.
6
ROM
Nachdem Sam von Peter Brenner in seinem Hotel abgesetzt worden war, hatte er sich für ein paar Stunden aufs Ohr gehauen, um für die nächtliche Schnitzeljagd fit zu sein.
Es war jetzt zwölf Uhr nachts, der kleine Reisewecker auf dem Nachttisch piepte immer lauter, bis Sam ihn abstellte. Stille. Dann orientierte er sich erst einmal in seinem Hotelzimmer. Er lag auf einem Queensize-Bett mit einer altertümlich gemusterten Damastüberdecke, ihm direkt gegenüber war ein Fenster mit schweren, halb zugezogenen Gardinen. Rechts von ihm stand ein Holzschrank, und links führte eine Tür ins Badezimmer. Er beobachtete noch eine Weile das Lichterspiel an der Zimmerdecke, das von den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos zu kommen schien. Dann knipste er die Nachttischlampe an, setzte sich auf und öffnete die Akte, die noch neben seinem Kissen lag.
Gianna Lorenzo, siebenunddreiÃig Jahre
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