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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Haare verschwitzt durch die Sonne. Dieser Sommer kann mir gestohlen bleiben, dachte ich. Dieser Sommer ist nur doof.
    Da flog Jamies Tür auf, und sie kam herausgeflitzt wie aus der Pistole geschossen, ihre Mutter rief mit einem wehmütigen Lächeln in der Stimme hinter ihr her, und die Tür schlug knallend wieder zu, und der schreckliche Jack Russell von den Carmichaels kläffte hysterisch los. Peter und ich setzten uns auf. Jamie kam rutschend am Gartentor zum Stehen, hielt in alle Richtungen nach uns Ausschau, und als wir sie riefen, kam sie angerannt, sprang über das Gartenmäuerchen, ließ sich ins Gras fallen, schlang je einen Arm um unseren Hals und zog uns mit nach unten. Wir riefen alle durcheinander, und ich brauchte einen Moment, bis ich kapierte, was Jamie schrie: »Ich bleib hier! Ich bleib hier! Ich muss nicht weg!«
    Der bis dahin triste Sommer erwachte zum Leben. Von einer Sekunde zur anderen erblühte er zu strahlendem Blau und Gold. Der Klang von Grashüpfern und Rasenmähern vibrierte in der Luft, sie war erfüllt von Zweigen und Bienen und Pusteblumensamen, sie war weich und süß wie Schlagsahne, und über die Mauer rief uns der Wald mit der lautesten aller lautlosen Stimmen, breitete seine schönsten Schätze aus, um uns willkommen zu heißen. Der Sommer schleuderte eine Fontäne aus Efeuranken aus, die uns umschlangen und mitzogen. Der Sommer war wieder frei und bot sich uns dar, eine Million Jahre lang.
    Wir lösten uns voneinander und setzten uns keuchend auf, konnten es kaum glauben.
    »Im Ernst?«, sagte ich. »Ganz bestimmt?«
    »Ja. Sie hat gesagt, ›Wir werden sehen, ich muss nochmal drüber nachdenken, und wir finden eine Lösung‹, aber das sagt sie immer, wenn sie nachgibt und es nur noch ein bisschen spannend machen will. Ich muss nicht weg!«
    Jamie gingen die Worte aus, daher schubste sie mich um. Ich packte ihren Arm, rollte mich auf sie drauf und nahm sie in den Schwitzkasten. Ich grinste übers ganze Gesicht und dachte, ich würde nie wieder damit aufhören, so glücklich war ich.
    Peter war aufgesprungen. »Das müssen wir feiern. Picknick in der Burg. Wir holen Sachen von zu Hause und treffen uns da.«
    Meine Mutter saugte oben Staub, als ich durchs Haus und in die Küche flitzte. »Mum! Jamie bleibt hier, kann ich was für ein Picknick haben?«, während ich schon drei Tüten Chips und eine halbe Packung Kekse schnappte und sie unter mein T-Shirt stopfte – dann noch rasch dem verdutzten Gesicht meiner Mutter oben an der Treppe zugewinkt, wieder zur Tür hinaus und über die Gartenmauer geflankt.
    Coladosen zischten und schäumten über, und wir standen oben auf der Burgmauer und stießen mit ihnen an. »Wir haben gewonnen !«, rief Peter in die Äste und die glitzernden Lichtstreifen, den Kopf in den Nacken geworfen, und reckte die Faust in die Luft. »Wir haben’s geschafft!«
    Jamie schrie: »Ich bleib für immer hier!«, und tanzte auf der Mauer, als wäre sie aus Luft, »für immer und ewig!« Und ich brüllte bloß, wilde wortlose Jubelschreie, und der Wald fing unsere Stimmen auf und schleuderte sie weiter in immer größeren Wellen, verflocht sie mit dem Blätterwirbel und dem ausgelassen sprudelnden Fluss und dem Strudel aus Kaninchen und Käfern und Rotkehlchen und allen anderen Bewohnern unseres Reiches zu einem einzigen, langen hohen Freudengesang.
    Diese Erinnerung, als Einzige von allen, löste sich nicht in Rauch auf und entglitt mir nicht durch die Finger. Sie ist mir geblieben – bis heute –, fest und warm, wie eine glänzende Münze in der Hand, und sie gehört mir. Ich denke, wenn der Wald mir nur einen einzigen Augenblick lassen wollte, dann hat er eine gute Entscheidung getroffen.

    Solche Fälle haben manchmal ein gnadenloses, kleines Nachspiel, so auch dieser, denn nicht lange nachdem ich wieder arbeitete, rief mich Simone Cameron an. Meine Handynummer stand auf der Karte, die ich ihr gegeben hatte, und sie konnte nicht wissen, dass ich Aussagen von jugendlichen Autodieben überprüfte und nicht mehr mit dem Fall Katy Devlin zu tun hatte. »Detective Ryan«, sagte sie, »wir haben etwas gefunden, was Sie sehen sollten.«
    Es war Katys Tagebuch, das sie, wie Rosalind uns erzählt hatte, angeblich aus Langeweile weggeworfen hatte. Die Putzfrau der Ballettschule hatte es mit Klebeband befestigt auf der Rückseite eines gerahmten Posters von Anna Pawlowa entdeckt. Als sie den Namen auf dem Umschlag las, hatte sie in heller Aufregung Simone

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