Grabesgrün
musste ich das Dezernat verlassen. Selbst in meinen wildesten Träumen hatte ich kaum zu hoffen gewagt, dass mir das erspart bleiben würde. Ich kam wieder zu den Sonderfahndern, mit dem Hinweis, ich solle nicht damit rechnen, sobald wieder auf meinen alten Posten zurückzukommen, wenn überhaupt. Quigley, dem ich einen solch subtilen Sinn für Grausamkeit gar nicht zugetraut hätte, fordert mich manchmal für eine Hotline oder für Haus-zu-Haus-Vernehmungen an.
Das Ganze war natürlich längst nicht so einfach, wie es sich vielleicht anhört. Monatelang hockte ich praktisch untätig in der Wohnung, wie gelähmt, in einem elenden, albtraumhaften Zustand, während meine Ersparnisse dahinschmolzen und meine Mutter mir ängstlich Essen brachte, damit ich mal was in den Magen bekam. Heather nutzte derweil jede sich bietende Gelegenheit, um mir zu erklären, welcher Charakterfehler meinen Problemen eigentlich zugrunde lag (anscheinend musste ich lernen, mehr Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen, vor allem auf ihre) und mir die Nummer ihrer Therapeutin zu nennen.
Als ich wieder zur Arbeit kam, war Cassie nicht mehr da. Sie war an dem Tag gegangen, als Damien verurteilt wurde. Mir kam aus verschiedenen Quellen allerlei zu Ohren: Ihr sei eine Beförderung zum Detective Sergeant angeboten worden, wenn sie bliebe; sie habe umgekehrt den Dienst quittiert, weil man sie aus dem Dezernat werfen wollte; jemand habe sie in einem Pub in der Stadt gesehen, Händchen haltend mit Sam; sie sei wieder aufs College gegangen und studiere jetzt Archäologie. Die Moral, die in den meisten Geschichten steckte, war die, dass Frauen im Morddezernat eigentlich nichts zu suchen hatten.
Wie sich herausstellte, hatte Cassie nicht den Dienst quittiert. Sie war ins Dezernat für Häusliche Gewalt gewechselt und hatte eine Freistellung ausgehandelt, um ihr Psychologiestudium zu beenden – daher vermutlich die Collegegeschichte. Kein Wunder, dass es Gerüchte gab: Häusliche Gewalt ist vermutlich das aufreibendste Ressort bei der Polizei, weil es die schlimmsten Elemente aufweist, mit denen man es auch im Morddezernat oder Dezernat für Sexualverbrechen zu tun bekommt, ohne jedoch auch nur annähernd denselben Respekt zu genießen. Dass jemand dafür ein Elitedezernat verlässt, ist für die meisten nicht nachvollziehbar. Cassie hatte nicht mehr die Nerven für die Arbeit, so die Gerüchteküche.
Ich persönlich glaube nicht, dass das der Grund für Cassies Wechsel war, und ich bezweifle auch, selbst wenn es oberflächlich und wie eine Schutzbehauptung klingt, dass es etwas mit mir zu tun hatte, zumindest nicht so, wie Sie vielleicht meinen. Wenn ihr einziges Problem gewesen wäre, dass sie nicht mit mir in einem Zimmer sein konnte, dann hätte sie sich einen neuen Partner gesucht und sich richtig in die Arbeit gestürzt, wäre jeden Tag ein wenig dünner und trotziger ins Büro gekommen, bis wir schließlich einen neuen Modus Vivendi gefunden hätten oder ich um Versetzung gebeten hätte. Sie war immer die Sture von uns beiden. Ich glaube, sie ließ sich versetzen, weil sie O'Kelly und auch Rosalind angelogen hatte und beide ihr geglaubt hatten – und weil ich sie, als sie mir die Wahrheit sagte, eine Lügnerin genannt hatte.
Irgendwie war ich enttäuscht, dass sich die Archäologiegeschichte als unwahr herausstellte. Ich konnte mir das gut bei ihr vorstellen, und es war ein Bild, das ich mir gern vor Augen rief: Cassie auf irgendeinem grünen Hügel, mit einer Hacke bewaffnet, das Haar aus dem Gesicht geweht, braun und verdreckt und lachend.
Eine Zeitlang suchte ich in den Zeitungen danach, ob es im Zusammenhang mit der Schnellstraße in Knocknaree irgendeinen Skandal gab, aber vergeblich. Einmal tauchte Onkel Redmonds Name auf, in einem Boulevardblatt, ganz unten in einer Grafik zum Thema, was die Aufmachung von diversen Politikern den Steuerzahler kostete, aber das war auch schon alles. Da Sam noch immer im Morddezernat war, vermutete ich, dass er sich an O'Kellys Anweisung gehalten hatte. Natürlich ist es auch möglich, dass er tatsächlich mit seiner Tonbandkassette zu Michael Kiely gegangen ist, aber keine Zeitung sich darantraute. Ich weiß es nicht.
Sam verkaufte sein Haus nicht. Stattdessen vermietete er es spottbillig an eine junge Witwe mit zwei kleinen Kindern. Als freiberufliche Musikerin hatte sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und war nach dem Tod ihres Mannes, der keine Lebensversicherung abgeschlossen hatte,
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