Graciana - Das Rätsel der Perle
an sein Schwert. »Richtet Eurem Herrn meine Botschaft aus und gehabt Euch wohl!«
Er wandte sich eben wieder zum Gehen, als ein heller, wütender Schrei seine neuerliche Aufmerksamkeit erregte. Ein Mädchen. Eine schlanke Magd, die sich wild gegen die Fesseln wehrte, die ihre Hände auf den Rücken hielten. Die mit bloßen, schmutzigen Füßen gegen einen Kerl trat, der sich an ihrem Mieder zu schaffen machte. Ein heftiger Faustschlag gegen ihre Schläfe schleuderte sie in den Staub neben das reglose, nackte Geschöpf, dessen gebrochene Augen bewiesen, dass es im Gegensatz zu ihr das Schlimmste bereits hinter sich hatte.
»Zum Henker!« Nun verlor er doch seine Beherrschung. »Der Herzog mag über Euer Plündern hinwegsehen, aber er wird es nicht dulden, dass die Töchter von Auray geschändet werden! Lasst die Frau frei!«
»Den Teufel werden wir tun!«, hob sich die Stimme des Hauptmannes über das protestierende Grölen seiner Männer. »Wir dienen dem Herzog als Krieger, aber er hat uns keine Vorschriften zu machen! Außerdem sind die Weiber nicht aus Auray!«
»Soll ich das glauben?«
»Wollt Ihr mich der Lüge bezichtigen, Ritter?«
Der aufkommende Streit zwischen Gordien Bonnet und dem Boten des Herzogs lenkte die Aufmerksamkeit für ein paar kostbare Augenblicke von dem verzweifelten Mädchen ab. Sogar der Söldner, der sich eben um den Inhalt von Gracianas Mieder gekümmert hatte, hielt inne, um die Auseinandersetzung zu beobachten.
Die streitenden, wütenden Männerstimmen rissen Graciana aus der gefährlichen Benommenheit. Ihr ganzer Körper war mittlerweile ein einziger Schmerz. Sie blinzelte und keuchte, als sie mitten in Adelas zerschundenes Gesicht sah, in dem die hellen, blauen Augen in namenlosem Schrecken blicklos offenstanden. Heilige Mutter Gottes, war sie tot? In einer mechanischen Geste zuckte ihre Rechte, damit sie sich bekreuzigen konnte.
Erst nach einem Moment begriff sie, was das bedeutete! Der Strick, der ihre Hände fesselte, war beim Sturz gerissen! Aus den Schürfwunden um ihre Gelenke sickerte Blut, aber Graciana achtete nicht darauf. Sie rappelte sich auf die Knie und verharrte zwischen den Beinen der Söldner, die reglos um sie herum aufragten.
Unwillkürlich duckte sie sich noch tiefer und begann, so schnell es ging, auf allen Vieren zwischen ihnen hindurchzukriechen. Niemand achtete auf sie. Alle Blicke waren auf Gordien und die Männer des Herzogs gerichtet, doch der erhoffte Kampf blieb aus. Graciana spürte die aufkommende Enttäuschung der Söldner. Sie beeilte sich, ohne Rücksicht auf ihre blutenden Hände fortzukommen, gleich einem Aal schlängelte sie sich tiefer ins Dunkel.
Die Söldner hatten das Feuer im Schutze des steinernen Turmes entzündet, der das große Wasserrad für die Mühle trug, und der Zufall wollte es, dass sich Graciana in seiner unmittelbaren Nähe befand. Sie hatte eben die Hausecke erreicht, als die Auseinandersetzung am Feuer von einem neuerlichen Wutschrei unterbrochen wurde.
»Wo ist die Dirne?«
Man hatte ihre Flucht entdeckt! Graciana warf sich blind vorwärts und fiel ins Nichts!
Kérven des Iles schäumte vor Wut, aber er hatte keine andere Wahl. Gegen eine Rotte von mindestens fünfzig Söldnern waren seine Männer hoffnungslos in der Unterzahl, und Gordien wusste es. Er genoss den Sieg, während seine Männer Fackeln in das Feuer tauchten und sich auf die Suche nach dem flüchtigen Mädchen machten.
»Gehabt Euch wohl und überbringt Jean de Montfort unsere Ergebenheit!«, höhnte der Hauptmann und krönte seine vornehme Rede mit einem ordinären Rülpser.
Kérven ersparte sich die Antwort. Er gab seiner Eskorte ein Zeichen und wandte sich zum Gehen. Glühend vor Zorn und bis in die Tiefen seiner Seele hinein beschämt, dass er nichts gegen diese Schurken ausrichten konnte. Wozu trug er ein Schwert, wenn er damit nicht die Schwachen beschützen und die Halunken bestrafen durfte? Zum Henker mit der Politik!
An der Steinbrücke über den Fluss warf er einen wütenden Blick zurück. Die tanzenden Fackeln um die Mühle bewiesen, dass man noch immer nach dem armen Wesen suchte, das sich so mutig gewehrt hatte. Hoffentlich gelang der Kleinen die Flucht! Mit einem lästerlichen Fluch warf er sich herum und wollte seinen Weg fortsetzen, als er mit dem Stiefel gegen ein weiches Hindernis stieß, das vor ihm im Staub kauerte.
»Was zum ...«
Im Dunkel der mondlosen Nacht fühlte er nur zierliche Konturen und hörte eine heisere,
Weitere Kostenlose Bücher