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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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doch«, Ludo räusperte sich und strich sich mit allen zehn Fingern durch die strohfarbenen, widerspenstigen Haare, die genau in Höhe seiner Ohren rundherum abgeschnitten waren. »Die Dirne schläft dort hinten. Sie wollte weder essen noch trinken!«
    »Welche Dirne ... ach, Gott!«
    Erst in diesem Moment erinnerte sich der Ritter an die Vorfälle der vergangenen Nacht. Die stundenlangen Beratungen beim Herzog hatten den Vorfall in den Hintergrund seiner Gedanken gerückt. Es galt immerhin, Paskal Cocherel auf diplomatische Weise von weiteren Kämpfen abzuhalten. Bisher hatte noch keiner ein wirksames Mittel gefunden, den ehrgeizigen Söldnerführer zum Frieden zu bewegen. Mit einem Seufzer trat er an das Lager, auf dem sich die schmale Gestalt nicht bewegt hatte.
    Gerade ausgestreckt, die Hände korrekt an den Seiten des Körpers, lag Graciana auf dem Rücken, wie man es sie im Kloster gelehrt hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ihr diese erzwungene Starre Probleme bereitet hatte, aber wie alle anderen Nonnen hatte sie gelernt, sich der eisernen Disziplin zu beugen, die Mutter Elissa für unbedingt erforderlich hielt.
    Kérven des Iles verharrte mitten in der Bewegung. Hätte das Mädchen die Hände gefaltet, die Illusion einer Grabfigur wäre vollkommen gewesen. Er konnte kaum erkennen, ob sie noch atmete. Völlig reglos lag sie da, das schmutzige Gesicht von fahlen Strähnen umgeben, die das erste Licht des nebeligen Morgens jeder möglichen Farbe beraubte. Auch das Antlitz selbst wirkte wie aus blassem Marmor gemeißelt. Nur der dunklere Bogen der gewölbten Brauen und die Wimpern-Halbkreise der geschlossenen Augen brachten Tiefe und Kontur in die Züge. Trotzdem war es ein einprägsames, seltsam anrührendes Antlitz.
    Die hoch angesetzten Wangenknochen, die stolze gerade Nase und die üppig verführerischen Lippen hatten nichts Gewöhnliches oder Grobes. Das runde Kinn wirkte vielleicht eine Spur zu eigensinnig, und solange er die Farbe der Augen nicht erkennen konnte, hielt er sich mit einem endgültigen Urteil zurück. Dennoch rührte sie eine Saite in ihm an, die seinen Unmut dämpfte.
    »Du wirst sie wecken müssen, Ludo«, befahl er seinem Knappen. »Ich möchte in einer Stunde aufbrechen. Ich habe Botschaften des Herzogs nach Rennes zu bringen, und er hat mir die Erlaubnis gegeben, in Lunaudaie nach dem Rechten zu sehen!«
    Er vernahm den scharfen Atemzug des Jungen. Ludo war nicht nur sein Page, sondern auch der Sohn des Burgvogts von Lunaudaie. Sein Vater hatte im Kampf um das Lehen sein Leben eingebüßt, und Kérven hatte dem Sterbenden in die Hand versprochen, dass er Ludo zum Ritter erziehen und das Lehen zurückerobern würde.
    »Nach Hause?«, erkundigte sich Ludo nun mit seltsam gepresster Stimme und räusperte sich angestrengt. »Es ist wieder unser Zuhause?«
    »In der Tat!« Der Seigneur versuchte, seine eigene Befriedigung über diese Tatsache hinter knappen Worten zu verbergen. »Lunaudaie gehört uns wieder, und Seine Gnaden der Herzog war außerdem so freundlich, ihm den Status einer Grafschaft zu verleihen!«
    »Ihr seid Graf!«, rief der Knappe begeistert und stieß einen Kriegsschrei aus, der nicht nur die Schläferin, sondern auch die Zelte ringsum zum Leben erweckte. »Wir sind jetzt Graf!«
    »Zügle deinen Jubel«, rief ihn sein Herr zur Ordnung. »Ich hatte im Verlaufe der Nacht eine Botschaft geschickt, dass alles zum Aufbruch bereit sein soll, wenn ich komme.«
    »Bei mir ist niemand erschienen, seitdem das Frauenzimmer gekommen ist«, verteidigte sich der Knappe ein wenig beleidigt und nahm stumm den folgenden Hagel an Befehlen in Empfang.
    Verwirrt entnahm auch Graciana dieser Aufzählung, dass sie es mit einem Manne zu tun hatte, der daran gewöhnt war, dass man ihm unmittelbar und ohne Widerspruch gehorchte. Von Ludos Schrei aus einem lähmenden Schlummer gerissen, hatte sie Mühe, sich zurechtzufinden. Ihr ganzer Körper schmerzte, ihre Fußsohlen standen in Flammen, und ihre Kehle fühlte sich an, als habe sie mit dem Wind um die Wette geschrien und verloren.
    Ihre Körperwärme hatte im Verein mit den Decken ihre nassen Kleider halbwegs getrocknet, aber trotzdem lagen die Stoffe klamm und grob auf ihrer Haut. Die Bewegung, mit der sie das Mieder zurechtzog, erregte die Aufmerksamkeit des Seigneurs.
    »Ah, du bist wach!«, stellte er beifällig fest und trat näher.
    Graciana wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie starrte ihn aus großen Augen an. Er war der

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