Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
den Fingern, und auf das Kommando traten vier kleine Gestalten auf uns zu. Seine Söhne waren wirklich niedlich und ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Der älteste war ungefähr zwölf, der jüngste vielleicht sechs. Kondis hatte sich bestimmt viel Mühe bei ihrer Zeugung gegeben. Jetzt standen sie da wie Zwerge verschiedenen Alters und musterten mich.
»Die lieben Kleinen«, sagte ich in Richtung Kondis, »wie niedlich sie sind!«
Dieser wusste nicht, wie ihm geschah. Er war bleich und wie vom Donner gerührt und überlegte, wie er aus dieser Lage herauskommen sollte.
»Schau doch nicht so perplex!«, bat ich. »Willst du deine Kinderchen nicht endlich begrüßen?«
Kondis nickte wie abwesend und beugte sich zu seinen Söhnen hinab. Sie fielen ihm um den Hals und flüsterten ihrem Vater griechische Worte ins Ohr. Die Erstarrung fiel von Kondis ab. Er wurde ganz Vater, der sich freut, seine Brut wieder zu sehen. Die Frau beobachtete die Szene mit klammheimlicher Freude.
»Sie sind Jasons Frau«, sagte ich zu ihr, »Ihr Name ist aber nicht zufällig Medea?«
Ich dachte an Medea, des antiken Jasons Frau, die ihrer Konkurrentin Kreusa ein vergiftetes Kleid zur Hochzeit sandte und die eigenen Kinder tötete, weil Jason sie verlassen wollte.
»Nein.« Ihr Deutsch war leidlich. »Sie brauchen nichts zu befürchten. Diese Zeiten sind vorbei.«
»Es wäre auch schade um die Kinder«, gab ich zurück.
»Er hat Ihnen viel beigebracht«, sagte sie mit dunkler Stimme. »Seinen Frauen hat immer gut gefallen, dass er so schöne Geschichten kennt. Darauf werden Sie leider künftig verzichten müssen.«
»Es gibt doch genug Bücher, aus denen man sich informieren kann«, sagte ich. »Ich gehe jetzt. Passen Sie gut auf Ihren Mann auf! Er ist in einem gefährlichen Alter.«
»Jason ist sein ganzes Leben lang in einem gefährlichen Alter. Sie können sich darauf verlassen, dass ich auf ihn achten werde, Frau Grappa! Er hat schließlich vier Söhne in die Welt gesetzt.« Es klang wie ein Schwur vor dem Delphischen Orakel.
Jason sprach noch immer mit seinen Kindern, streichelte sie, küsste sie auf die Wangen. Er hatte uns Frauen für einen Augenblick vergessen. Ich spürte, dass er glücklich war, so glücklich, wie ich ihn nie erlebt hatte. Endlich öffnete er sein Herz, wenn es auch nicht mir galt.
Ich drehte mich um, nahm meine Koffer und ging.
Es regnete in Strömen. Ich verhandelte mit einem Taxifahrer über den Preis, mich nach Hause zu bringen. Wir einigten uns, und ich ließ mich in die Polster fallen. Vorbei, dachte ich, aber es war schön mit ihm. So schön, dass mir ein paar Tränen die Wangen hinunterliefen.
Erster Ausklang
Mein Feature über die Bildungsreisen als intellektuelle Spielart des Massentourismus lief mit einigem Erfolg im Radio. Es war inzwischen Spätsommer geworden, an die Reise im Juni dachte ich nur noch selten zurück. Nur an den Abenden, an denen ich vor dem Fernseher oder an meinem Computer saß, glaubte ich plötzlich, den Geruch von Thymian und Honig zu riechen. Den Oregano, mit Kondis im Pleistostal gesammelt, verstreute ich über Lammbraten, Tzaitsiki, griechischem Salat und Moussaka, wenn ich Kollegen und Freunde zum Essen einlud. Und immer, wenn meine Finger die trockenen Kräuter zerrieben, dachte ich an ihn.
Ajax Unbill wurde vor Gericht gestellt. Der Prozess erregte Aufsehen. Ich war als Zeugin geladen.
Meine Hoffnung, Jason wiederzusehen, erfüllte sich nicht. Das Gericht hatte mehrere Prozesstage angesetzt, und Kondis war erst später geladen. Ich erfuhr aber, dass er wieder in Griechenland lebte. Zurückgekehrt in den Schoß der Familie.
Dafür lief mir Almuth Traunich über den Weg. In einem jugendlichen Kostüm ging sie im Gerichtsflur auf und ab und wartete auf ihren Auftritt als Zeugin.
»Frau Grappa!«, winkte sie mir zu. »Ich habe gehofft, dass wir uns hier treffen. Wie geht es Ihnen?«
»Na, ja – ich habe zurzeit viel Arbeit. Aber Sie sehen zehn Jahre jünger aus! Die neue Haarfarbe steht Ihnen gut. Wie kommen Sie ohne Ihren Mann zurecht?«
Sie lächelte. »Es könnte nicht besser gehen. Alfred hat mir mehr Geld hinterlassen, als ich erwartet hatte. Ich habe eine Stiftung gegründet. Die ›Alfred-Traunich-Stiftung zum Schutz der heimischen Vogelwelt‹.«
»Sehr passend«, lobte ich und erinnerte mich an seine gemeinen Beschimpfungen, die seine Frau zu erdulden hatte, wenn sie einen eingesperrten Piepmatz bedauerte. »So bekommt er posthum noch Gelegenheit
Weitere Kostenlose Bücher